Abschied vom Kino: Das Themenprogramm der 64. Kurzfilmtage

64. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, 3.-8. Mai 2018

Abschied vom Kino: Knokke, Hamburg, Oberhausen (1967-1971)

 

Kurzfilmtage 1969
Foto: 1969/Archiv der Kurzfilmtage

 

50 Jahre nach dem Schlüsseljahr 1968 geben die Kurzfilmtage in ihrem Themenprogramm „Abschied vom Kino: Knokke, Hamburg, Oberhausen (1967-1971)“ in acht Filmprogrammen und einer Podiumsdiskussion einen Überblick über den ästhetischen und politischen Umbruch, der den (künstlerischen) Film bis heute prägt. Das Programm versammelt teils legendäre Arbeiten von Claudia von Alemann, Hartmut Bitomsky und Harun Farocki, Hellmuth Costard, Stephen Dwoskin, Birgit und Wilhelm Hein, Lutz Mommartz, Werner Nekes, Hans Scheugl und anderen. Als Gäste werden unter anderem Xavier Bardón, Wilhelm Hein, Peter Weibel und Adolf Winkelmann erwartet. Kuratiert wird „Abschied vom Kino“ von dem Film- und Kinomacher Peter Hoffmann (Hannover).

 

Ende der 1960er Jahre suchten Filmemacher nach einer neuen Öffentlichkeit jenseits des bestehenden Kino- und Festivalsystems, das für künstlerische Experimente sowie politische Agitation verschlossen war. Die neuen Filme entsprangen keiner gewerblichen Absicht, sondern den künstlerischen und politischen Motiven Einzelner. Dieser Umbruch im Selbstverständnis der Filmemacher führte 1968 zu einem historischen Wendepunkt, mit dem bereits der Grundstein für eine Abkehr des künstlerischen Films vom Kino hin zum White Cube des Kunstbetriebs gelegt war. „Die Filmemacher begannen, am Grab des Kinos mitzuschaufeln, weil sie als Künstler wahrgenommen werden wollten“, so Lars Henrik Gass, Leiter der Kurzfilmtage. „Diese Entwicklung trug unter anderem dazu bei, dass der Kunstbetrieb heute die Deutungshoheit über das Künstlerische am Film übernommen hat.“ Das Kinosystem antwortete durch die Schaffung nichtgewerblicher Kommunaler Kinos; die selbst aufgebauten Strukturen der Filmemacher-Kollektive und Vertriebs-Cooperativen hingegen lösten sich nach kurzer Zeit auf.

 

Die Abwendung vom Kino brachte sowohl formale Erweiterungen wie Mehrfachprojektionen, Filmloops, Intermedia und „Expanded Cinema“ als auch den Einsatz des Films in der politischen Arbeit mit sich. Beiden Entwicklungen geht „Abschied vom Kino“ am Beispiel deutscher und ausländischer Initiativen nach. So präsentieren die Kurzfilmtage Lutz Mommartz‘ legendäre Filminstallation „Zweileinwandkino“, aber auch Wiederentdeckungen vergessener Arbeiten wie die Filme des Schweizers Klaus Schönherr, des Schwäbisch Gmünder Künstlerpaars Irm und Ed Sommer oder des Kasseler Filmkollektivs sowie ein Programm zu einem der wichtigsten Vertreter und frühen Aktivisten des „Anderen Kinos“, dem im letzten Jahr verstorbenen Werner Nekes.

 

Zum Hintergrund:

 

Im Oktober 1967 begann eine Gruppe von Hamburger Filmemachern, über ein eigenes Festival und Verleihsystem nachzudenken. Ab 1968 wurden in relativ kurzer Zeit eine Reihe von Filmemacher-Kooperativen und alternativen Festival- und Abspielorten ins Leben gerufen, die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung auch Konfliktlinien markierten: „Anderes Kino“ und „Sozialistische Film-Coop“ (Hamburg), „Underground“ (Köln) oder „Unabhängiger Film“ (München). Auch im Ausland gründeten sich Gruppen und Kollektive. Als Meilensteine auf diesem Weg gelten das legendäre Festival EXPRMNTL 4 Ende 1967 im belgischen Knokke, die 1. Hamburger Filmschau im Februar 1968 und die 14. Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen im April 1968, die vom Auszug der deutschen Filmemacher nach dem Skandal um Hellmuth Costards „Besonders wertvoll“ geprägt waren.

 

Der Kurator:

 

Peter Hoffmann ist langjähriger Mitstreiter im Kollektiv des „Kino im Sprengel“ in Hannover. Seit 2015 beschäftigt er sich besonders mit Recherchen zur „Filmmacher Cooperative Hamburg“ und zum „Anderen Kino“. Als Filmemacher hat er neben einigen Kurzfilmen auch zwei Langfilme realisiert, die international ausgezeichnet wurden: „Oliva Oliva“ (2005) und „La dernière année“ (2011). Gelegentlich betätigt er sich als Filmübersetzer.

 

Oberhausen, im Dezember 2017

 

Pressekontakt: Sabine Niewalda, T +49 (0)208 825-3073, niewalda@kurzfilmtage.de