Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe April 2022
Gewesen: Das Schweigen der Dafne in Köln
Angekündigt: Festival für aktuelles Musiktheater Spark – Stationen V mit neuer Musik aus NRW – Opern von Höller, van der Aa und Jost – Auftakt Achtbrücken-Festival u.v.a.m.
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[Das Schweigen der Dafne in Köln]
Bereits seit Jahrtausenden mäandert die Nymphe Daphne auf der Flucht vor ihrem göttlichen Verfolger Apollon durch die europäische Kulturgeschichte. In Musik, Kunst und Literatur hat sie vielfältige Spuren hinterlassen und noch immer lädt sie zur Auseinandersetzung ein. So aktuell Georg Beck (Libretto), Christina C. Messner (Komposition) und Anna Magdalena Beetz (Inszenierung und Choreographie), die in der gemeinsamen Produktion Das Schweigen der Dafne die Protagonistin auch als Tänzerin verkörpert. In einem längeren Prozess näherten sich die drei dem Thema an, wobei ihnen völlig unerwartet eine Namensvetterin ihrer Heldin in die Quere kam: Im Oktober 2017 sorgte der Mord an Daphne Caruana Galizia für weltweite Schlagzeilen. Die Journalistin und Bloggerin hatte sich praktisch im Alleingang den mafiösen und korrupten staatlichen Strukturen ihrer Heimat Malta entgegengestellt und wurde daraufhin von ihren Widersachern mit einer Autobombe eliminiert. Was eigentlich nur ein Zufall war, eine simple Namensgleichheit, ließ das Trio nicht mehr los, erfasste den kreativen Prozess und führte dazu, dass uns in der fertigen Produktion die mythische und die reale Dafne in enger Verschränkung begegnen. Dabei verbindet sie nicht nur der Name sondern auch das bewusste Aufbegehren gehen eine aggressive, besitzergreifende patriarchale Ordnung. Denn auch die Nymphe, die uns oft als verhuschtes, ängstliches, im wahrsten Sinne flüchtiges Wesen vorgeführt wird, ist zuerst eine selbstbewusste Person, die sich ihrem gesellschaftlich vorbestimmten Schicksal aktiv widersetzt, der „die Hochzeitsfackel verhasst war wie ein Verbrechen“, die dem Vater Enkel und Schwiegersohn verweigert und sich stattdessen für ein selbstbestimmtes Leben entscheidet. Dieser die göttliche Ordnung unterminierende Entschluss fordert den Gott heraus und wird zum Stein des Anstoßes – und nicht etwa ihre körperlichen Reize oder die windigen Manöver Amors. Auf ähnliche Weise hat Daphne Caruana Galizia den männlichen Machtstrukturen die Stirn geboten und sich ihnen mit einfachsten Mitteln entgegengestellt – ihr Blog hatte zum Schluss mehr Abonnenten als Malta Einwohner.
Die Dafne, die uns auf der Bühne begegnet (am 19.3. in der Alten Feuerwache in Köln nach der Uraufführung im Rahmen des Opening Festival Trier), verkörpert auf eindrucksvolle Weise das Wechselspiel dieser beiden Figuren in ihrer Ambivalenz zwischen Stärke und Verletzlichkeit. Zu Beginn steht sie noch in einer Reihe mit anderen (den Musikern und Musikerinnen), alle im Trenchcoat, scheinbar austauschbar – gemeinsam schwankende Körper, die gemeinsam einen schwankenden Ton anstimmen. Doch als diese sich gegen sie wenden, sie mit zischenden Lauten attackieren, bleibt sie standhaft und geht unbeirrt ihren eigenen Weg. Wie der Titel des Stücks bereits anzeigt, sind ihr keine Worte gegeben, doch mit der Sprache ihres Körpers bestimmt sie das Geschehen. Mal setzt sie mit markanten Gesten Zeichen, mal definiert sie mit weit ausgreifenden Bewegungen ihren Raum, der im vorherrschenden Schwarz als weißes Quadrat markiert ist. Ihr Widersacher, der von Alexander Steindorf verkörperte Gott Apoll, kommt trotz aller Wortgewalt im wahrsten Sinne des Wortes nicht an sie heran. Dabei zieht er alle Register, streckt zögerlich-behutsam den Arm nach ihr aus, setzt sich auf einem Podest in Szene, proklamiert lautstark seinen Herrschaftsanspruch und seine Definitionsmacht als derjenige, der nicht den Frieden sondern das Neue bringt, entäußert sich in einem markerschütternden Schrei – und bleibt doch am Rande. Nur einmal kommt es zum kurzen Aufeinandertreffen, zur Gegenüberstellung, zum Blickkontakt, doch sofort taucht Dafne wieder in ihre eigene Welt ein. Der Abstand bleibt, besonders anschaulich dargestellt, wenn Apoll nach Dafne greifend einen imaginären Körper umfängt, während sie in gebührender Entfernung sich einem unsichtbaren Zugriff zu entwinden scheint. Dem vielschichtigen Geschehen entsprechen mehrdeutige Bilder: Dafne verstreut Papierfetzen im Raum, die sie mal auf der Suche nach möglichen Fährten und Zusammenhängen sichtet und durchforstet, mal durch den Raum wirbeln lässt, mal hektisch an sich rafft; ein Blätterwald, der sowohl an Daphne Caruana Galizias Rolle als investigative Journalistin als auch an die Verwandlung der Nymphe Daphne in einen Lorbeerbaum denken lässt.
Dem reduzierten aber eindringlichen Bühnengeschehen entspricht eine ebensolche Musik. Die Komponistin Christina C. Messner, die als Violinistin mitwirkt, hat sich mit Dorrit Bauerecker am Akkordeon, Janko Hanushevsky am E-Bass und Norbert Krämer am Schlagwerk Verstärkung geholt, wobei alle auch andere Klangerzeuger wie Regenmacher oder mit Bogen angestrichene Gläser und Zimbeln zum Einsatz bringen. Gleich zu Beginn dominieren zarte, flirrende, luftige Klänge, knisternd, säuselnd, ein sanftes Pochen wie der Herzschlag, den der Gott noch unter der frischen Rinde fühlt. Amors Pfeile schwirren durch den Raum, manchmal scheint die Musik in einen rhythmischen Fluss zu geraten, sich kurz an einem Motiv festzuhalten, doch nichts ist von Dauer, flüchtige Klangszenen folgen einander - eine musikalische Metamorphose.
Am Ende werden beide Frauen zum Schweigen gebracht. Die Nymphe wird als Lorbeerbaum still gestellt und muss als Gipfel der Demütigung mit ihrem Laub die Feldherren umkränzen. Der Mord an Daphne Caruana Galizias ist auch nach fünf Jahren nicht vollständig aufgeklärt, während die korrupte Regierung, der ein Untersuchungsbericht eine Mitverantwortung bescheinigt, auf den nächsten Wahlsieg zusteuert. Doch das Schweigen der Dafne auf der Bühne ist keines der Schwäche und Resignation, ihr gehört das erste und das letzte Bild. Mit ausgebreiteten Armen wendet sie sich ans Publikum. Ihre Geschichte ist noch nicht zu Ende.
[Termine im April]
Köln
In der Alten Feuerwache und der Tanzfaktur geht vom 7. bis 10.4. Spark, das neue Festival für aktuelles Musiktheater, mit Produktionen von Manos Tsangaris, Carola Bauckholt, Helena Cánovas Parés, Roman Pfeiffer und Yiran Zhao über die Bühne. In der Alten Feuerwache sind außerdem am 27.4. die Stationen und am 30.4. das E-Mex-Ensemble zu Gast.
In der Philharmonie stehen Aaron Jay Kernis am 1.4., Friedrich Cerha am 3.4., 4.4. und 5.4., Manuel Göttsching am 11.4. und Julia Lacherstorfer am 24.4. auf dem Programm.
Rie Watanabe und Norbert Rodenkirchen sind am 1.4. im Museum Schnütgen zu erleben, ebenfalls am 1.4. ist das Asasello Quartett im Sancta Clara Keller, in St. Gertrud setzt sich das Trio T.ON am 1.4. mit dem Architekten Gottfried Böhm auseinander und am gleichen Ort kann man am 23.4. an einem Schlafkonzert teilnehmen. Im Staatenhaus hat am 3.4. York Höllers Musiktheater Der Meister und Margarita Premiere und am 18., 19., 20. und 22.4. bringt die Musikfabrik dort Michel van der Aas Filmoper Upload zur Aufführung. Beim Musik-der-Zeit-Konzert des WDR am 8.4. wird Reshimot von Sarah Nemtsov aus der Taufe gehoben, Michael Denhoff trifft sich am 14.4. mit Dorissa Lem in deren KunstRaum zur interaktiven Improvisation, die Musikfabrik widmet sich am 21.4. Sofia Gubaidulina, in der Tanzfaktur wird am 23. und 24.4. mit Catching Cathy versucht Cathy Berberian einzufangen, in der Kunststation Sankt Peter kann man am 29.4. der Viola d'amore lauschen und LTK4 präsentiert im Lutherturm Installationen, Kompositionen und Artefakte.
Vom 29.4 bis bis 8.5. dreht sich beim Achtbrücken-Festival alles um Musik, Amnesie und Gedächtnis. Zum Auftakt spielt das WDR Sinfonieorchester in einem Musik der Zeit-Konzert des WDR Werke von Sofia Gubaidulina und Lim Liza, ein besonderer Schwerpunkt ist Morton Feldman gewidmet und beim Freihafen am 1.5. gibt es traditionsgemäß einen ganzen Tag Musik bei freiem Eintritt.
Fast tägliche Events sind im Loft zu erleben, weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm, Musik in Köln sowie ON – Neue Musik Köln und Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.
Ruhrgebiet
Im Dortmunder Konzerthaus stehen Werke von Oleksandr Shchetynsky und Jörg Widmann am 1.4., von Helen Grime und Joel Järventausta am 4.4. sowie von Joey Roukens und Paul Schoenfield am 5.4. auf dem Programm.
Am 22.4. interpretieren Irene Kurka und Dominik Susteck in der Duisburger Pfarrkirche am Ludgeriplatz Musik von Farzia Fallah und Andreja Andric.
In der Essener Philharmonie kommt am 2.4. Aaron Jay Kernis' Musica celestis für Streichorchester zur Aufführung. Das Klavier-Festival Ruhr präsentiert am 4.4. ebenfalls in der Philharmonie den 'Kosmos Luciano Berio', ein Projekt mit Schülerinnen und Schülern aus dem Ruhrgebiet und aus Paris mit Mitgliedern des Ensemble Intercontemporain und des Ensemble Musikfabrik sowie der Sängerin Sarah Maria Sun. In der Folkwang Universität präsentieren E-MEX und Proxima Centauri am 27.4. zwei brandneue Auftragswerke von Martin Matalon und Voro Garcia.
InterZone Perceptible hat sich dem Stummfilm mit Live-Music verschrieben. Im April gibt es Kostproben in Bochum am 7.4. und in Essen am 8.4., 29. und 30.4.
Der Umlandkalender verheißt aktuelle Musik mit Jan Klare und Bambostic am 6.4. in Duisburg und Handsome Couple am 16.4. in Essen.
Düsseldorf
Irene Kurka und Martin Wistinghausen präsentieren am 3.4. in der Antoniuskirche Musik des Mittelalters und der Moderne für Sopran- und Bass-Stimme. Nach der Uraufführung in Athen macht Hello to Emptiness, ein Performance-Konzert zum Thema gesellschaftliche Verletzlichkeit und Umgang mit Trauer von Stephanie Thiersch, am 29. und 30.4. im Tanzhaus Station und in der Tonhalle erklingt am 29.4., 1. und 2.5. das Konzert für Saxophonquartett und Orchester von Philip Glass.
Sonstwo
Bereits zum fünften Mal schickt der Landesmusikrat NRW die Reihe Stationen mit Neuer Musik aus NRW durch die Lande. Diesmal kommt der Klang des bedingungsloses Grundeinkommens vom 25.4. bis 7.5. nach Dortmund, Köln, Essen, Detmold, Münster, Bielefeld und Aachen.
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik widmet sich am 8.4. in der Reihe 'Hören und Sprechen über neue Musik' der Zither und hat am 9.4. das Aventura Quartett zu Gast.
Im Dialograum Kreuzung an Sankt Helena in Bonn ist am 7.4. das Trio Escalator (Vandermark/Tokar/Kugel) und am 30.4. das Tanztheater Filidonia zu erleben. Letzteres ist ein junges experimentelles Musik- und Tanzensemble, das mit seinem aktuellen Projekt Wo wachsen Wurzeln? einen perfomativen Annäherungsversuch an das Thema Heimat unternimmt und damit auch nach Wuppertal (9. und 23.4.) und Remscheid (16.4.) kommt.
Die Bielefelder Cooperativa Neue Musik lädt am 22.4. zum Jour fixe und im Theater hat am 23.4. die Oper Egmont von Christian Jost Premiere. Bereits am 10.4. findet eine Einführungsveranstaltung statt. In der Zionskirche steht am 24.4. ein Kammermusikkonzert auf dem Programm.
Die Detmolder Hochschule für Musik stellt am 20.4. 'Das Lied im 20. und 21. Jahrhundert' vor.
Das Studio Musikfabrik ist am 24.4. im Anneliese Geske Musik- und Kulturhaus in Erftstadt zu Gast.
Am 8.4. erklingen im Rahmen der zweiten Klangnacht St. Agnes in Hamm Werke von Farzia Fallah und Andreja Andric.
Am 6.4. wird in der Kapuzinerkirche Paderborn die Reihe 'blau – experimentelle Musik im Kirchenraum' fortgesetzt.
Das Studio Neue Musik der Universität Siegen kündigt ein studentisches Filmprojekt am 6.4. in Altenberg und ein Orgelkonzert in der Nicolaikirche am 28.4. an.
Im Solinger Lichtturm treffen am 2.4. sakrale und profane Klänge auf Installationskunst.
In der Reihe 'Raumklänge' ist am 3.4. Harald Kimmig mit seiner Geige in der alten Kirche St. Martinus in Stommeln zu Gast.
Das Ensemble Horizonte ist am 1.4. mit einem Wandelkonzert im Museum Peter August Böckstiegel in Werther zu erleben.
Das Wuppertaler Sinfonieorchester hat Peter Maxwell Davies' An Orkney Wedding, with Sunrise am 3. und 4.4. und Werke von Mossolow und Schnittke am 24.4. im Programm und im ort erwarten uns der cine:ort am 7.4., die Open Impro-Session mit dem Tanztheater Filidonia am 9.4. und das Hendrika Entzian Quintet am 23.4.
Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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