Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe Februar 2018

Gewesen: Hölszky beim Ballett am Rhein – Schönes Wochenende in Düsseldorf
Angekündigt: Eötvös' Oper in Münster – Soundtrips NRW mit Dieb13  u.v.a.m.

 

(möchten Sie diese Gazette monatlich neu per e-mail erhalten?
Dann senden Sie bitte eine mail an
redaktion-nrw@kulturserver.de mit dem Betreff: Neue Musik oder tragen Sie sich hier ein: http://lists.kulturserver-nrw.de/cgi-bin/mailman/listinfo/neue-musik)

 

[Hölszky beim Ballett am Rhein]

 

Neue Musik hört man in der Deutschen Oper am Rhein leider viel zu selten, lebende Komponisten begegnen höchsten im Bereich der Kinderoper. Doch zum Glück sorgt Martin Schläpfer dafür, dass hin und wieder zeitgenössische Klänge aus dem Orchestergraben dringen. Eine besonders enge Zusammenarbeit verbindet den Direktor des Balletts am Rhein, das 2017 bereits zum vierten Mal in Folge von der Zeitschrift Tanz zur Kompanie des Jahres gewählt wurde, mit Adriana Hölszky. 2014 komponierte sie für ihn das abendfüllende Werk Deep Field, das mit großem Chor und elektronischen Zuspielungen über eine Surround-Anlage in kosmische Dimensionen ausgriff. In ihrem neuen Stück Roses of Shadow geht es ihr hingegen um „größtmögliche Dichte“, um einen „Blick wie durch eine Lupe“, was bereits in der kammermusikalischen Besetzung für Sopran und acht Instrumentalisten zum Ausdruck kommt. Der Titel bezieht sich auf das 67. Sonett von William Shakespeare, doch Hölszky ließ sich weniger vom konkreten Text als vielmehr von den dem Wortpaar anhaftenden Assoziationen inspirieren. Die Rose als Sinnbild der Schönheit, der Liebe und des Lebens ist immer schon dem Verfall ausgesetzt, ist gleichzeitig ein Symbol der Vergänglichkeit und Verletzlichkeit. Diese „Unfassbarkeit des Verlustes“ artikuliert sich in einer Musik voller Spannungen und Brüche; manchmal fragil und an der Grenze der Hörbarkeit, ein Rieseln und Knistern, Raunen und Wispern, dann unvermittelt sich zusammenballend, von martialischen Bläserakkorden und dramatischen Trommelwirbeln durchsetzt. Der umfangreiche Perkussionsapparat setzt markante Akzente; Akkordeon, Alphorn und Koto sowie die von allen Musikern gespielte Mundharmonika steuern ungewöhnliche Klangfarben bei, wobei es – da die Instrumentalisten den Blicken entzogen sind – oft kaum auszumachen ist, wie die Töne entstehen. Die Stimme (Angelika Luz) wird zunächst vorwiegend instrumental eingesetzt; im weiteren Verlauf streut Hölszky Gedichte nordamerikanischer Indianer ein, die Spiritualität und Naturverbundenheit beschwören, doch Schönklang wird konsequent verweigert; besonders die gesprochenen Partien wirken wie herausgestoßen, schmutzig, zudringlich.

Dass hier alles andere als eine heile Welt beschworen wird, macht auch Martin Schläpfers Choreographie deutlich. Die Bühne (Marcus Spyros Bertermann) wird von einem großen, schwarzen, kantigen Monolithen beherrscht, der Unnahbarkeit und Intransparenz ausstrahlt. Den Tänzern bietet er keinen Bezugspunkt, sie sind ganz auf sich gestellt. Ihr Mit- und Gegeneinander ist von Irritation und Orientierungslosigkeit geprägt; Aktionismus und Erschöpfung, Spiel und Kampf liegen dicht beieinander. Ein Ball, der die Erde symbolisieren könnte, wird zur Waffe, zum Geschoss. Die Bühne füllt sich immer mehr, wer einmal drin ist, bleibt, es gibt kein Entkommen. Auch dort, wo Paare vorübergehend zueinander finden, entsteht keine verlässliche Nähe. Jede Annäherung kann schon im nächsten Moment zur Grenzüberschreitung werden. Klassische Bewegungsmuster scheinen auf, doch sie sind ihrer Bedeutung beraubt, wie abgelegte Kleidung, überholte, sinnentleerte Rituale. In einer Anwandlung trotzigen Aufbegehrens steigert sich eine Tänzerin in einen überdrehten Spitzentanz, von dem nur hilfloses Zappeln bleibt. Die Möglichkeiten kosmischer Verbundenheit, die im Gesang anklingen („Ich höre die Ameisen reden.“ „Ich bin mit den Sternen verwandt.“), scheinen die Menschen nicht mehr zu erreichen. Vielleicht künden sie von einer Zukunft ohne sie.

 

[Schönes Wochenende in Düsseldorf]

 

Minimal Music scheint aktuell wieder hoch im Kurs zu stehen. In Mönchengladbach hat am 31.1. die Nyman-Oper Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte Premiere, in Wuppertal kann man Steve Reichs Video-Oper Three Tales erleben und im März folgt Bonn mit Echnaton von Philip Glass. Ein Grund für diese Beliebtheit ist sicherlich der Umstand, dass Minimal Music im Feld der zeitgenössischen Musik am massentauglichsten ist, wie Uwe Sommer-Sorgente hervorhebt. Als künstlerische Leiter haben er und Beate Schüler die 'Masters of Minimal' daher ins Zentrum der fünften Ausgabe des Tonhallen-Festivals Schönes Wochenende gerückt.

Ich selbst bin mit der Minimal Music nie so richtig warm geworden. Mehr als einmal hat sie mich gelangweilt, genervt oder sogar beides. Am besten funktioniert sie für meine Ohren als Begleitmedium wie zum Beispiel in den drei Filmen der sogenannten Qatsi-Reihe des Regisseurs Godfrey Reggio, die nicht zuletzt durch die kongeniale Musik von Philip Glass Kultstatus erlangt haben und die man sich in einem fünfstündigen Filmmarathon in der Tonhalle zu Gemüte führen konnte. Dabei wurde auch deutlich, dass Minimal Music nicht nur von Reduktion lebt: Passend zu Reggios teils schwelgerischen, teils dramatischen Bildern schreckt Glass auch vor Pathos und effektvoller Zuspitzung nicht zurück. Wie so oft ist das Leben vielschichtiger als unsere liebgewonnenen Schubladen! Die Düsseldorfer beschränkten sich zudem nicht darauf, mit Reich, Glass und Riley die Altherrenriege der Masters of Minimal abzufeiern, sondern hielten auch Ausschau nach Querverbindungen und aktuellen Entwicklungen. So konnte man im Eröffnungskonzert, das (seit Tagen ausverkauft!) im benachbarten NRW Forum stattfand, Julius Eastman entdecken, der bereits seit einiger Zeit ein Revival erlebt. Als schwuler drogenabhängiger schwarzer Mann, der zeitgenössische Musik schrieb und sich auch noch mit John Cage anlegte, hatte er fast alle Außenseiterkarten gezogen, die man sich vorstellen kann. Lange war Eastman daher nach seinem Tod 1990 in der Versenkung verschwunden, was auch an der schwierigen Überlieferungssituation lag, da ein Teil seiner Werke während der Zeit seiner Obdachlosigkeit scheinbar für immer verloren ging. Es ist der Komponistin Mary Jane Leach zu verdanken, dass inzwischen vieles wieder greifbar ist (s. The Julius Eastman Project, weitere Infos inklusive Audio- und Videomaterial bei Julius Eastman Research Compendium) und so einer Wiederentdeckung Eastmans nichts mehr im Wege steht. Dass sich diese lohnt und dass er mehr zu bieten hat als eine abgründig-schillernde Biographie, brachten die Pianisten Ernst Surberg, Christoph Grund und Julie Sassoon mit ihrer Interpretation von Evil Nigger und Gay Guerilla eindrucksvoll zum Ausdruck. Trotz aller Stringenz sprengt diese Musik die gängigen Minimalklischees, sie ist hart, scharf und droht ständig aus dem Ruder zu laufen, an die Stelle mechanisch ablaufender Wiederholungen tritt ein geradezu aggressives Insistieren. Dabei rotierte nicht nur die Musik, sondern auch die Musiker, die eine geradezu akrobatische Performance lieferten.

Das Notabu-Ensemble schmuggelte, unterstützt vom Spectra Ensemble Gent, György Ligeti ins Programm, der sich zwar intensiv mit komplexen Rhythmen befasste, aber letztlich immer seine eigenen Wege ging. In Düsseldorf kamen seine wunderbaren Drei Stücke für zwei Klaviere zu Gehör (interpretiert von Yukiko Fujieda und Frederike Möller), deren zweites sich bereits im Titel (Selbstporträt mit Reich und Riley) explizit auf die Minimal Music bezieht, sowie sein Konzert für Violine und Orchester mit Barnabas Kelemen als Solisten, dem Interpreten der ungarischen Erstaufführung. Terry Rileys Tread on the Trail, dessen Partitur aus wenigen frei gestaltbaren rhythmischen Pattern besteht, fing unter dem Dirigat von Mark-Andreas Schlingensiepen regelrecht an zu swingen und erhielt dadurch in der Notabu-Spectra-Fassung eine ganz eigene Note.

Zeitgenössische Fassetten brachten der Düsseldorfer Künstler Stefan Schneider im Trio mit dem Schlagzeuger Sven Kacirek und der Vokalistin Sofia Jernberg sowie das Brandt Brauer Frick Ensemble ins Spiel. Schneider erschuf mit seinen Mitstreitern zu später Stunde eine suggestive, traumwandlerische Atmosphäre, bei der geheimnisvolle Texte und behutsame Klangexperimente sich in einen elektronisch-perkussiven Strom betten. Bei Brandt Brauer Frick geht es bekanntermaßen anders zur Sache, der große Saal der Tonhalle vibrierte unter satten, stampfenden Rhythmen. Das namensgebende Trio stammt aus der Clubszene und wird in der 10-köpfigen Ensemble-Variante durch klassisches Instrumentarium wie Geige, Cello, Posaune, Tuba und Harfe ergänzt. Daraus entwickelt sich ein komplexes Klanggeschehen, das aber stets von einem durchgehenden Puls zusammengehalten wird.

Bei den allerjüngsten, den Kompositionsschülern der Clara-Schumann-Musikschule, steht die Minimal Music nicht ganz so hoch im Kurs, stattdessen experimentieren sie mit geradezu avantgardistischen Klängen. Den kleinen Stücken, die im Rahmen des Projekts 'urban loops and drones ' entstanden, liegen akustische Erkundungen im Umfeld der Tonhalle als Inspiration zu Grunde, wobei auffällt, dass es kein einziges Mädchen in die Gruppe der insgesamt acht Jungkomponisten geschafft hat. Kann es tatsächlich sein, dass diese so ganz talent- und interesselos sind? Vielleicht sollte man da noch einmal nachforschen, sonst müssen wir in 100 Jahren immer noch Altherrenriegen abfeiern.

 

[Konzerte im Februar]

 

Köln

 

In der Philharmonie stehen Pierre Boulez' Livre pour cordes am 4., 5. und 6.2., György Ligetis
Atmosphères am 18., 19. und 20.2., ein Abend mit Fazil Say am 21.2., Werke von York Höller und Bernd Alois Zimmermann am 24.2. sowie ein Orgelkonzert mit Francesco Filide am 27.2. auf dem Programm. Die Musikfabrik kündigt einen Konzertabend mit Stücken junger polnischer Komponisten am 5.2., das Montagskonzert mit Variationen für Koto am 19.2., ein WDR-Konzert mit Uraufführungen von Joseph Lake und James Dillon am 25.2. und einen Nicophone-Workshop am 28.2. an. In der Kunststation Sankt Peter erwarten uns ein Orgelkonzert mit Brian Parks am 4.2. sowie Lunchkonzerte am 3., 10., 17.2. und 24.2.

Im Stadtgarten spielt das österreichische Ensemble Studio Dan am 1.2. u.a. ein Werk von Oxana Omelchuk, die reiheM lädt Billy Bao am 10.2. ins King Georg und in der Alten Feuerwache trifft am 15.2. die Cellistin Beate Wolff auf den aus dem Irak stammenden Komponisten, Sänger und Perkussionisten Saad Thamir. ON - Neue Musik Köln präsentiert das Kölner A-Trio am 23.2. im Domforum mit einer Vielzahl neuer Kompositionen, darunter auch eine Uraufführung von Simon Al-Odeh, und im Zentrum für alte Musik Köln ZAMUS kommt ebenfalls am 23.2. Ein Zimmer für sie allein zur Aufführung, eine Musik-Theater-Veranstaltung konzipiert von Georg Beck mit Musik von Christina C. Messner. Beim 5. Raderbergkonzert am 27.2. beim Deutschlandfunk erklingt Dmitri Remix für Schlagzeug-Duo von Johannes Fischer und im Loft werden am 28.2. die Interferenzen zwischen Naturklang und elektronisch bearbeitetem Material erforscht.

Weitere Termine wie üblich bei kgnm und musik-in-koeln.de

 

Ruhrgebiet

 

Die Bochumer Symphoniker spielen am 25.2. Werke von Kaija Saariaho und Sofia Gubaidulina.

 

Im Dortmunder Konzerthaus kommen Werke von Jörg Widmann am 3.2. sowie von Olga Neuwirth und György Ligeti am 6.2. zur Aufführung und in Sankt Petri erklingt am 2.2. Musik aus dem Wandelweiserumfeld mit Eva-Maria Houben und Antoine Beuger.

 

Im Duisburger Earport findet am 25.2. in Zusammenarbeit mit den Duisburger Philharmonikern eine Matinee mit Musik und Poesie des 20. und 21. Jahrhunderts statt.

 

In der Essener Philharmonie werden am 1.2. die Ergebnisse des Schülerkompositionsprojekts Zukunftsmusik vorgestellt. In der Folkwanguniversität stellt sich am 8.2. das Impr%cheste vor und am 21.2. wird im Rahmen des Folkwang LABs TURN_US eine interdisziplinäre Performance über kollektive Utopien in Zeiten des Individualismus präsentiert. Konzerte mit Jazz und improvisierter Musik finden sich bei JOE, der Jazz Initiative Essen.

 

Düsseldorf

 

In der Tonhalle spielt Jörg Widmann am 23., 25. und 26.2. neben Mozart auch eigene Werke.

Am 1.2. widmet die Klasse Michael Denhoff der Robert-Schumann-Hochschule Bernd Alois Zimmermann ein Konzert anlässlich seines 100sten Geburtstags und am 14.2. kommen Abschlussarbeiten von Studierenden aus dem Vertiefungsmodul Visual Music des Instituts für Musik und Medien in der Filmwerkstatt zur Aufführung. Am 23.2. lädt der Klangraum 61 zum nächsten Salon Neue Musik und vom 23. bis 25.2. findet das TIN-Festival für Improvisation statt, das unter der Schirmherrschaft von Markus Stockhausen steht.

 

Sonstwo

 

Vom 23.2. bis 4.3. geht die Reihe Soundtrips NRW in die 38. Runde. Dabei trifft der österreichische Künstler Dieb13 mit seinen Turntables in Bielefeld, Bochum, Wuppertal, Düsseldorf, Essen, Köln, Duisburg, Bonn und Münster auf wechselnde Gäste.

 

Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik befasst sich in der Reihe 'Hören & Sprechen über neue Musik' am 2.2. mit dem Liedschaffen von Wilhelm Killmayer und Aribert Reimann und am 3.2. ist dort das Duo Gelland zu Gast.

 

Die Bielefelder cooperativa neue musik kündigt am 5.2. einen Jour fixe mit dem Heisenberg-Quartett & Bernsteins Zimmer und am 19.2. ein Konzert in der Thomaskirche an.

 

In der Detmolder Hochschule für Musik tritt am 9.2. das hauseigene Ensemble Earquake auf. 

 

Das Ensemble Horizonte spielt im Herforder MARTa am 4.2. zum Abschluss der Ausstellung Revolution in Rotgelbblau.

 

Am 18.2. sind Mitglieder der Musikfabrik im Museum Kurhaus Kleve mit Variationen für Koto zu Gast.

 

Das Krefelder TAM setzt seine Kagelreihe im Februar mit Atem für einen Bläser und MM 51 für Klavier fort.

 

Im Theater Münster hat am 24.2. – gefördert vom Fonds Neues Musiktheater – Peter Eötvös' Oper Angels in America Premiere. Vom 2. bis 11.2. findet in Münster und Umgebung Pianeo, das Festival für Neoklassik, statt, bei dem das Klavier über Stilgrenzen hinweg auf Synthesizer und Computer trifft und in der Musikhochschule erklingen am 15.2. Werke von Wolfgang von Schweinitz inspiriert durch Franz Schubert und Morton Feldman.

Studierende des Studios für Neue Musik der Uni Siegen sind am 1.2. im Rahmen der Ausstellung Takako Saito im Museum für Gegenwartskunst mit einer Performance zu erleben. Zur Finissage der Ausstellung finden außerdem am 18.2. zwei Performances von Takako Saito statt.

 

In der Wuppertaler Oper kommt am 3., 4. und 11.2. sowie am 4.3. Steve Reichs und Beryl Korots Video-Oper Three Tales zur Aufführung. Beim 6. Sinfoniekonzert in der Historischen Stadthalle erklingen am 18. und 19.2. Werke von Messiaen und Avner Dorman. Am 6.2. gastiert das A-Trio im Wuppertaler Ableger der Kölner Musikhochschule und am 7.2. findet dort ein Kammermusikabend mit Werken von Hans Werner Henze und Bernd Alois Zimmermann sowie Musik verfemter Künstler statt. Im ort machen die Soundtrips NRW am 26.2. Station. Außerdem werden das Improvisationsensemble der Kölner Musikhochschule am 2.2. und das Frangenheim/Zoepf Duo am 24.2. erwartet. Weitere Jazztermine finden sich bei Jazzage.de.

 

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW