Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe Juli 2017

Gewesen: Notabu in Düsseldorf – Kurtágs Kafka-Fragmente in Dortmund
Angekündigt: ingolf in Gelsenkirchen – Wandelweiser in Düsseldorf – Woche der Neuen Musik an der Folkwang Hochschule – Brückenmusik in Köln u.v.a.m.

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[Notabu in Düsseldorf]

Nachdem der Festivalreigen verklungen ist, kann ich endlich wieder die kleineren Aktivitäten vor der eigenen Haustür würdigen und so führte mich mein Weg am 10.6. in die Düsseldorfer Tonhalle, wo bereits seit 2003 das Notabu-Ensemble mit der Reihe Na hör'n Sie mal! zu Gast ist. Von 1993 bis 2013 bestritt das Ensemble auch noch das eigene Festival Ohren auf Europa, das von dem zwar experimentierfreudigeren, aber teilweise auch unglücklich-gefällig agierenden Tonhallen-Festival 'Schönes Wochenende' abgelöst wurde. Den Blick auf Europa haben sich Mark-Andreas Schlingensiepen und seine Notabus aber bewahrt und so standen in dieser Saison bereits Großbritannien und Frankreich im Fokus. Diesmal richtete sich die Aufmerksamkeit auf Italien, ein Land das zu praktisch allen Epochen der Kunst- und Musikgeschichte entscheidende Beiträge geleistet hat. Mit Nono, Maderna, Berio usw. fallen einem auch sofort große Namen des 20sten Jahrhunderts ein. Die Last der zu bewahrenden Historie gepaart mit aktuellem politischem Chaos hat die Lage für zeitgenössische Komponisten aber immer mehr verschlechtert, so dass die meisten von ihnen, wie Schlingensiepen im Einführungsgespräch feststellte, 'europäisch verstreut' sind. Von den im Programm vertretenen hat es Luca Francesconi nach Schweden, Stefano Gervasoni nach Paris, Silvia Borzelli in die Niederlande und Valerio Sannicandro nach Deutschland verschlagen. Lediglich Luca Lombardi war längere Zeit mit einer Professur in seinem Heimatland vertreten. Zu Gehör brachte das Notabu-Ensemble 'schöne Neue Musik' im besten Sinne. Gervasoni ergänzt in Eyeing ein quirliges Quintett aus Flöte, Klarinette und Streichtrio mit echoartigen Einwürfen der Posaune und des Kontrabass, Sannicandro entwirft in Aquae ein dichtes, lebendiges und höchst differenziertes Klanggewebe und Francesconi durchsetzt sein knappes und karges Linee di forza mit harschen Akzenten. Aus dem Rahmen fielen die beiden Komponisten, die altersmäßig die Klammer bilden. Die 1978 geborene Silvia Borzelli, für mich der einzige neue Name, ließ sich bei ihrem Duo für Cello und Klavier Further in von dem gleichnamigen Gedicht des schwedischen Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer anregen. Nicht Entwicklung sondern Vereinigung ist der Grundgedanke des Stücks, bei dem das Klavier mit trockenem, teils präpariertem Anschlag gemeinsam mit dem Cello auf der Stelle zu treten scheint, sich zu keinem Rhythmus entschließen kann, immer wieder ins Stocken gerät. Auch bei Giacinto Scelsi sind gängige Verlaufsformen obsolet. Jörn Wegmann interpretierte sein Maknongan mit einer Doppeltrichtertuba und verlieh ihm eine intensive Körperlichkeit, zu der auch das hörbare Atemholen passte. Luca Lombardis Infra führte zum Abschluss ebenfalls in den Untergrund. Doch nach einem dramatischen Wühlen in den tiefsten Registern schwingt sich die Musik, angestoßen von einem Flötensolo, in mal luftige, mal spitz-schrille Höhen auf.

[Kurtágs Kafka-Fragmente im Dortmunder Konzerthaus]

Gleich am Folgetag, am 11.6., war im Dortmunder Konzerthaus ein wunderbares Kleinod zu erleben. Dabei ist Kleinod nicht der richtige Begriff, denn die Kafka-Fragmente für Sopran und Violine gehören mit ca. einer Stunde Aufführungsdauer bereits zu den längeren Werken innerhalb von Kurtágs Œuvre. Aber wie der Titel verrät, ist er auch hier seinem aphoristischen Stil treu geblieben, seiner Fähigkeit, auf kleinstem Raum eine ganze Welt aufscheinen zu lassen. Wenn man davon ausgeht, dass Kafka selbst seine im eigentlichen Sinn literarischen Texte vernichtet wissen wollte, erweist sich ein Blick in seine privatesten Äußerungen, seine Tagebucheintragungen, persönlichen Briefe und scheinbar beiläufigen Notizen, als ausgesprochen heikles Unterfangen. Doch bei der Auswahl der Fragmente legt Kurtág keine falsche Scheu an den Tag und lässt uns mit Aussagen wie Nr. 22 „Der Coitus als Bestrafung des Glücks des Beisammenseins.“ tief in Kafkas Seelenleben blicken. Daneben stehen alltägliche Beobachtungen (Nr. 9 „Die Weißnäherinnen in den Regengüssen“) und kürzeste Anmerkungen ( Nr. 4 „Ruhelos“). Kurtág komponierte die auf vier unterschiedlich lange Abschnitte verteilten 40 Fragmente von 1985 bis 1987, noch im gleichen Jahr kamen sie in Witten zur Uraufführung. Die Musik ist pointiert aber nie karg, expressiv aber nie ausschweifend. Manchmal wild-trotzig, sich überschlagend (Nr. 19 „Nichts dergleichen“), manchmal brüchig und stockend (Nr. 38 „...wenn ich erzähle, habe ich meistens ein Gefühl, wie es kleine Kinder haben könnten, die die ersten Gehversuche machen.“). Diesen Drahtseilakt bringt das mit sieben Minuten längste Fragment (Nr. 20), das als Hommage-message an Pierre Boulez adressiert ist, auf den Punkt: „Der Wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden. Es scheint mehr bestimmt, stolpern zu machen, als begangen zu werden.“ Nicht das Schweben über den Dingen, sondern das ständige Bewusstsein unserer Hinfälligkeit, unserer Verletzlichkeit bewahrt uns unsere Lebendigkeit und Menschlichkeit. In Dortmund stellten sich die Sopranistin Anna Maria Pammer und die Geigerin Patricia Kopatchinskaja dieser Herausforderung und man merkte, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt. Pammer lotet mit ihrer Stimme die feinsten Nuancen aus und bewältigt auch abrupte Stimmungsumbrüche. Kopatchinskaja ist mit ihrem lebhaften, temperamentvollen Spiel eine gleichwertige Partnerin. Auf jeden Fall hat sich die Anreise nach Dortmund gelohnt!

[Termine im Juli]

Köln

Vom 2. bis 9.7. lädt die Brückenmusik wieder in den Hohlraum der Deutzer Brücke. Vorgesehen sind u.a. eine Installation von Jeremy Deller, ein Konzert mit Moor Mother und Fledermaus-Führungen.
In der Philharmonie steht Musik von Penderecki am 1.7. sowie von Lachenmann am 10. und 11.7. auf dem Programm. In der Kunststation Sankt Peter sind vor der Sommerpause noch zwei Lunchkonzerte am 1. und 8.7., die monatlichen Orgelimprovisationen am 2.7. und ein Musiktheater von Elnaz Seyedi am 5.7. zu erleben. Letzteres wie auch die Konzertperformance für Musiker und Tänzer mit Werken von Michael Denhoff und Bernd Alois Zimmermann am 15.7. in der Alten Feuerwache wird von ON Neue Musik Köln veranstaltet.
Die Hochschule für Musik und Tanz kündigt am 4.7. vokale Improvisationen in der Basilika Sankt Aposteln und am 9.7. neue Violin- und Violakompositionen für Kinder und Jugendliche an (am 2.7. bereits in Bonn s.u.), in der Hochschule für Medien sind am 13.7. Joker Nies und Richard Scott zu Gast, das musikwissenschaftliche Institut der Uni Köln präsentiert am 14.7. Ake Parmerud und der Kammerchor der Uni interpretiert am 2.7. Werke von Glass, Pärt und anderen.
Beim Chamber Remix am 2.7. im Kunsthaus Rhenania treffen Scott Fields und Norbert Rodenkirchen auf Emil Klotzsch, ebenfalls am 2.7. ist die Sopranistin Irene Kurka im KunstRaum Dorissa Lem zu Gast, am 10.7. präsentiert die Musikfabrik in ihrem Studio eine Installation mit Harry Parch-Instrumenten von Claudia Molitor, im Domforum widmet sich am 12.7. das Ensemble travel musica dem Werk des japanischen Komponisten und Performers Yuya Honda und in der Christuskirche ist am 13.7. das Multimediaprojekt Deproduction von Terre Thaemlitz zu erleben. Im Loft stehen neben vielen anderen die Duos Debacker/Gratkowski & Volkmann/Landfermann am 3.7. und das Zuzana Leharová Quartett am 10.7. auf der Bühne
Weitere Termine wie üblich bei kgnm und musik-in-koeln.de.

Düsseldorf

Zwei sehr unterschiedliche Klangräume erwarten uns im Juli in Düsseldorf. Der Klangraum 61 lädt am 2.7. mit einem Konzert zur Tour de France in die Bergerkirche, am 7.7. gibt es wieder besondere Klangerlebnisse im Kanal, am 8.7. treffen in der Bergerkirche vier Celli aufeinander und den Abschluss des Festivals bildet ein Klavierrecital.
Vom 18. bis 23.7. gestalten die Wandelweiser ein langes Wochenende. Mit dabei sind u.a. Teodora Stepancic, Assaf Gidron, Emmanuele Waeckerle, Tomma Galonska.

Ruhrgebiet

Im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr stehen Werke von Stefan Heucke am 2.7. in Wuppertal, von John Adams, Henry Cowell u.a. am 11.7. in Essen, von Philip Glass am 12.7. ebenfalls in Essen, von Peter Ruzicka am 13.7. in Recklinghausen und eine Uraufführung von Manfred Trojahn am 16.7. in Duisburg auf dem Programm.

In der Evangelischen Kirche St. Margaretha in Dortmund erklingt am 14.7. Musik u.a. von Eva-Maria Houben.

Im Duisburger Earport wird am 9.7. die Finissage zur Ausstellung Best friends von Performancemusik von und mit Kunsu Shim und Gerhard Stäbler begleitet.

In der Essener Folkwang Hochschule wird vom 3. bis 7.7. wieder die Woche der Neuen Musik veranstaltet. Zum Auftakt ist am 3.7. die Musikfabrik zu Gast. Weiter geht es mit elektronischer Musik und Konzerten der Kompositionsklassen. Am 19.7. findet außerdem eine Abschlussprüfung im Fach Integrative Komposition statt.

Das vom Fonds experimentelles Musiktheater geförderte Ingolf-Projekt am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier geht am 6.7. mit ingolf geht auf die Bühne in die sechste und letzte Runde.

Sonstwo

Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik veranstaltet am 10.7. eine Exkursion zum Studio des Ensembles Musikfabrik nach Köln und am 1.7. steht ein Jazzkonzert auf dem Programm

Beim nächsten Jour fixe der Bielefelder cooperativa neue musik am 3.7. wird eine subversive Klanginstallation des Cooperativa Ensembles präsentiert.

Unter dem Titel Shackleton werden am 2.7. in der Bonner Musikschule neue Violin- und Violakompositionen für Kinder und Jugendliche vorgestellt.

In Kürten bei Köln finden vom 29.7. bis 6.8. die Stockhausen-Kurse statt. Der Eintritt zu den abendlichen Konzerten ist frei.

Auf dem Programm der Musikhochschule Münster stehen ein Konzert der Schlagzeugklasse am 5.7., ein Hauch von Gegenwart am 7. und 28.7. und eine Uraufführung von Wolfgang von Schweinitz am 18.7.

Bei der von Christoph Staude kuratierten Neue Musik-Reihe auf der Museum Insel Hombroich bei Neuss kommt am 1.7. neben Musik von Staude ein neues Werk von Ben Meerwein zur Aufführung.

Im Rahmen des ostwestfälischen Festivals Wege durch das Land findet am 15.7. auf Gut Böckel eine Konzertlesung mit Musik von Helmut Oehring statt.

Das Studio für Neue Musik der Uni Siegen kündigt neue amerikanische Orgelmusik in der Nikolaikirche am 9.7. und Musik von Cathy Berberian, Luciano Berio, John Cage und George Crumb am 27.7. an.

Die Raumklänge präsentieren Christian Dierstein am 11.7. und Simon Rummel am 16.7. in Stommeln und die Musikfabrik mit einer Installation mit Harry Parch-Instrumenten von Claudia Molitor am 13.7. in Leverkusen.

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