Neue Musik in NRW - Ausgabe Dezember 2022

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18. November 2022

Gewesen: NOW!-Festival in Essen

Angekündigt: Nopera! Obsessions in Wuppertal – Ensemble BRuCH in Köln und Wuppertal – Musikafabrik mit Xenakis in Bonn u.v.a.m.

 

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[NOW!-Festival in Essen]

 

Das NOW!-Festival in Essen, das vom 27.10. bis 6.11. bereits zum 12. Mal stattfand, widmete sich in diesem Jahr unter dem Motto Horizonte außereuropäischen Entwicklungen, wobei der Blick vor allem auf den fernen Osten gerichtet war. Die musikalischen Verbindungen zwischen Asien und Europa sind vielfältig und komplex, standen aber lange (und stehen teilweise noch immer) unter kolonialistischen Vorzeichen. In vielen Musikschulen Japans und Koreas dominieren bis heute die europäischen Klassiker den Unterricht. Younghi Pagh-Paan und Toshio Hosokawa, zwei der bekanntesten Komponisten aus dieser Region, beide in Essen anwesend, berichten, dass die eigene Musik lange Zeit geradezu verpönt war und sie erst von Europa aus (oft angeregt durch ihre europäischen Kompositionslehrer) Interesse an ihren musikalischen Wurzeln entwickelten. Umgekehrt dienten asiatische Instrumente und Tonsysteme in Europa häufig als exotisches Futter, wobei der Grad zwischen wertschätzender Aufgeschlossenheit und kultureller Aneignung schmal ist. Heute sind wir in dieser Hinsicht sensibler und stellen fest, dass es verdammt schwer ist, aus dieser Nummer wieder herauszukommen. Einfache Antworten sind nicht zu haben.

Pagh-Paan und Hosokawa haben sich intensiv mit den musikalischen, aber auch philosophischen Traditionen ihrer jeweiligen Heimat befasst und diese in ihr eigenes Komponieren einfließen lassen. Doch ihre Werke sind in der (westlichen) Neue-Musik-Szene verankert und werden in diesem Kontext rezipiert. Dies zeigen eindrucksvoll ihre großen Orchesterkompositionen, von denen zwei in Essen zu Gehör kamen. Im Konzert mit den Duisburger Philharmonikern unter der Leitung von Jonathan Stockhammer erklang Uzu. Inspiriert von der japanischen Mundorgel Sho (die jedoch nicht zum Einsatz kommt) transformiert Hosokawa hier das Orchester in einen riesigen Klangkörper, der ein- und ausatmet, bebt, sich aufbäumt und schließlich einen den ganzen Raum erfassenden Strudel erzeugt. Unmittelbar von musikalischen Kindheitseindrücken ihrer Heimat ließ sich Malika Kishino anregen. Ihr Vater ist buddhistischer Priester, weshalb ihr die Klänge der Hyoshigi (Klanghölzer) und der Rin (japanische Schalenglocken) aus rituellen Kontexten vertraut sind. Dies hinderte sie lange daran, sie durch die Verwendung in einem schnöden Orchesterkonzert zu profanieren, doch in Percussion Concert ist sie diesen Weg gegangen. Die Schlaginstrumente, virtuos gespielt von Alexej Gerassimez, dominieren mit ihren unterschiedlichen Klang- (Holz und Metall) und Resonanzeigenschaften das Geschehen, werden vom Schlagwerk des Orchesters aufgegriffen und weitergesponnen und von den übrigen Instrumenten wie von einer Aura umgeben.

Die Bochumer Symphoniker brachten unter dem Dirigat von Joongbae Jee Pagh-Paans NIM zu Gehör, ein hochdramatisches aufwühlendes Werk, in dem sie angeregt von einem Gedicht des Koreaners Mun Byung-Lan, der am blutig niedergeschlagenen Volksaufstand in Kwanju im Mai 1980 beteiligt war, dem Schmerz der geschundenen, gequälten Erde nachspürt. Als Uraufführung erklang ein neues Orchesterwerk von Jagyeong Ryu, das schon im Titel Aus zwei Welten Bezug nimmt auf ihre verschiedenen kulturellen Hintergründe. Ryu erforscht Töne und ihre Resonanzen, oftmals zarte huschende und sirrende Klänge, die sich aber auch in plötzliche Turbulenzen stürzen können. Dabei geht es ihr nicht in erster Linie um Kontrolle und Stringenz, sondern um Zufallsklänge und brüchige Verläufe.

Nach Younghi Pagh-Paan ist inzwischen auch ein Kompositionswettbewerb benannt, der vom koreanischen Kulturzentrum in Berlin ausgerichtet wird. Dass von den fünf in Essen vorgestellten Werken vier von koreanischen Komponistinnen stammen, muss allerdings nicht zwingend als Zeichen der Emanzipation gewertet werden (im Global Gender Gap Index 2022 befindet sich Südkorea weit abgeschlagen auf Platz 99 von 146). Wie mir berichtet wurde, gilt die Beschäftigung mit klassischer Musik in Korea als unschädlicher Zeitvertreib für höhere Töchter, während die Söhne für Wichtigeres vorgesehen sind. Interessant am Wettbewerbskonzept ist die Einbeziehung alter koreanischer Instrumente wie Daeguem (Bambusflöte), Gayageum (Wölbbrettzither) oder Piri (Doppelrohrblattinstrument), doch sowohl in Klang als auch Form bewegen sich die Stücke im Rahmen der uns vertrauten Neuen Musik. Aber warum auch nicht: Zu erwarten, dass Komponierende aus anderen Kulturen uns gefälligst mit exotischem Material zu versorgen haben, ist ebenfalls eine eurozentristische Sichtweise. Recht machen können sie es sowie nie, mal ist ihre Musik zu assimiliert, mal zu folkloristisch. Letztlich bleibt nichts anderes übrig, als auf die einzelnen Werke zu hören, und da gab es in Essen noch einiges zu entdecken.

Der Italiener Riccardo Nova hat sich in die Vielschichtigkeit der südindischen Musik vertieft und mit Mahabharata ein von dem berühmten indischen Epos inspiriertes Werk vorgelegt, das das Ensemble Musikfabrik mit drei indischen Musikern und Musikerinnen zusammenführt (Varijashree Venugopal – Stimme und indische Flöte, Guru Prasanna – Rahmentrommel Kanjira, B. C. Manjunath – doppelbespannte Mridangam-Trommel). Der Klang zweier großer Meeresmuscheln mündet in ein changierendes, schillerndes Klangfeld, das von Gesängen und Rezitationen, von komplexen mal sich festsetzenden, mal sich beschleunigenden Rhythmen belebt wird und sich schließlich zu einem überschäumenden Tobuwabohu auswächst. Den rhythmischen und tonalen Finessen, die – wie der Dirigent Peter Rundel schilderte – nicht leicht zu bewältigen waren, konnte ich sicher nicht gerecht werden. Für mein Empfinden war zudem etwas zu viel Elektronik im Einsatz, aber es machte Spaß sich diesem Brodeln auszusetzen.

Von ganz anderem Charakter war das Zusammentreffen des Arditti Quartets mit Ryoko Aoki. Aoki hat das einst Männern vorbehaltene No-Theater nicht nur als Frau aufgemischt sondern auch durch die Verbindung der No-Reziation mit zeitgenössischer Musik, wodurch bereits mehr als 50 Werke entstanden sind. In der Hagoromo-Suite von Noriko Baba treffen flirrende Streicherklänge im höchsten Register auf Aokis markante, in strengem Duktus deklamierende Stimme. Doch unterhalb dieser kühlen, messerscharfen Präzision in Haltung und Ton entsteht eine fragile und instabile Atmosphäre, die sich in kurzen expressiven Momenten Bahn bricht. Auch in dem Werk Hannya der rumänischen Komponistin Diana Rotaru, ebenfalls für No-Stimme und Streichquartett, dominieren verschattete, tastende Klänge, die an Dichte und Tiefe gewinnen und schließlich zart entgleiten. Sowohl No-Theater als auch westliches Streichquartett stehen für Tradition, Konzentration und seismographische Sensibilität und erweisen sich als hervorragende Kombination.

Eine besonders lange Geschichte hat die europäische Faszination für indonesische Gamelanmusik, der bereits Debussy erlag. In Essen waren das Kyai Fatahillah Ensemble und der Komponist Dieter Mack zu Gast, der zu den führenden europäischen Kennern des Gamelan zählt. In seinem neuesten Werk The Time after – reset ergänzt er das Gamelaninstrumentarium mit westlichem Schlagwerk (Max Riefer) und Zuspielungen. Vor allem aber erkundet er eine ganz neue Klangwelt, die nicht von schwelgenden Rhythmen sondern von lang resonierenden, dunkel vibrierenden Tönen bestimmt wird. Es entsteht eine geheimnisvolle, schwebende Atmosphäre, die durch die auf der Kombination verschiedener traditioneller Stimmungen basierende Mikrotonaliät noch verstärkt wird.

Nach soviel Asien führte ein kleiner Abstecher nach Afrika: Lukas Ligeti war mit seinem Ensemble Burkina Electric angereist, eine Truppe die mit ihrem Afrikapop normalerweise auf Weltmusikfestivals zu Hause ist. Auf sich gestellt verbreiteten sie immerhin einen gewissen Groove, aber die Begegnung mit dem Ensemble BRuCH ging gründlich schief. Die beiden musikalischen Welten hatten einander wenig zu sagen und kamen mit doppelt angezogener Handbremse kaum vom Fleck. Das ist ausgesprochen schade, da Afrika in mehrfacher Hinsicht immer noch unterbelichtet ist. Während wir Amerika und Asien inzwischen zugestehen, dass es dort eigenständige Hochkulturen gegeben hat und gibt, tun wir uns in Bezug auf Afrika weiterhin schwer. György Ligeti, Lukas Ligetis Vater, war fasziniert von afrikanischer Polyrhythmik, aber davon ist viel zu wenig hier angekommen und erst recht nicht angemessen gewürdigt worden. Das Ergebnis ist, dass ein weißer Typ als Leader of the Pack das Wort führt und im Hintergrund an ein paar Schlaginstrumenten herumklöppelt, während vorne People of Color eine farbenfrohe Show abliefern – das Ganze so gut abgemischt, dass es unter dem Label Weltmusik alle glücklich macht und keinem weh tut. Das kann noch nicht alles gewesen sein und ist vielleicht ein Anlass, demnächst afrikanische Musik mehr in den Fokus zu nehmen.

 

[Termine im Dezember]

 

Köln

 

In der Kunststation Sankt Peter stehen Werke von Isang Yun und Toshio Hosokawa am 2.12., Musik von Jesús Torres u.a. am 7.12. sowie Lunchkonzerte am 3.12. und 10.12. auf dem Programm und am 31.12. kann man sich wie üblich beim Silvesterkonzert auf's neue Jahr einstimmen. In der Alten Feuerwache erwarten uns das Trio f:t am 1.12., das Trio Abstract am 3.12. und das Ensemble BRuCH mit seinem Programm stottern, stammeln, zagen am 14.12. Das Ensemble Musikfabrik lädt am 12.12. zum Montagskonzert und kommt am 16.12. anlässlich eines Kooperationsprojekts mit dem Institut für Neue Musik in die Musikhochschule. Dort findet am 8.12. ein weiteres Neue-Musik-Konzert mit Studierenden der Klasse Prof. Susanne Blumenthal statt. Die Kunsthochschule für Medien präsentiert im Rahmen der Reihe 'soundings' am 1.12. Leonhard Huhn und Christian Lorenzen, das Asasello Quartett ist am 2.12. im MAK zu Gast, im F:lmhaus spielt das Scott Fields Ensemble am 3.12. The Songs of Steve Dalachinsky und im nächsten 'Musik der Zeit'-Konzert am 9.12. hebt das WDR Sinfonieorchester neue Werke von York Höller und Malte Giesen aus der Taufe. Ebenfalls am 9.12. bringt electronic ID: im Filmforum NRW Transfleisch, ein Musiktheater von Sergej Maingardt, zur Aufführung, in der Friedenskirche treten am 11.12. unter dem Motto Nova Archaica mittelalterliche und neue Musik in einen Dialog und am 29.12. begegnen sich das Xenon Saxophone Quartett und Falk Griefenhagen beim Chamber Remix.

 

Fast tägliche Konzerte sind im Loft zu erleben und weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm (z.B. eine Kontrabass-Performance am 3.12. und das Abschlusskonzert der Containerklangreihe am 7.12.), Musik in Köln sowie Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.

 

Ruhrgebiet

 

Der Umlandkalender kündigt das Essener Noise Dub Ensemble am 1.12. in Bochum, Knyns mit Gunda Gottschald und Simon Camatta am 2.12. in Essen und die Society For Putting Things On Top Of Other Things am 9.12. ebenfalls in Essen an.

 

Im Kunstmuseum Bochum wird am 2.12. die Reihe 'Klangbilder' mit dem Trio Gratkowski / Reid / Blume fortgesetzt.

 

Tomeka Reid, improviser in residence in Moers, ist auch beim Auftritt der Großformation The Dorf am 15.12. im Dortmunder Domicil dabei. Das mex kündigt die Society For Putting Things On Top Of Other Things am 8.12. und gleich drei Acts am 16.12. an.

 

Im Lokal Harmonie in Duisburg stehen u.a. das Duo Lucatelli / Erel am 1.12., Interstellar 227 am 4.12. und Julia Mihály am 19.12. auf der Bühne.

 

Das ICEM (Institut für Computermusik und Elektronische Medien) der Folkwang Universität Essen lädt am 1. und 22.12. zur Tape Session und vom 15. bis 17.12. findet der 15. Kontrabass-Marathon statt mit einem besonderen Blick auf Kancheli. Das Ensemble S201 startet am 10.12. mit seiner neuen dreiteiligen Konzertreihe 'S201 and friends' und hat zum Auftakt den Noise-Kunstler Theo Voerste eingeladen.

 

Düsseldorf

 

Das ART Ensemble NRW präsentiert am 3.12. im Palais Wittgenstein die Ergebnisse seines Kompositionswettbewerbs. Anschließend werden die Preisträger bzw. Preisträgerinnen von Publikum und Ensemble ausgewählt. Der Bratchist Nils Mönkemeyer und sein Klavierpartner William Youn spielen am 11.12. im Schumann-Saal Morton Feldmans The Viola in My Life III .

 

Sonstwo

 

Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik kündigt neben aktuellem Jazz am 3. und 10.12. ein Konzert zum Gedenken an die Reichspogromnacht mit dem Neue Musik Ensemble Aachen am 11.12. an.

 

Die Bielefelder Cooperativa Neue Musik lädt zum Jour fixe mit dem Perkussionisten Sidney Jaffe am 5.12. sowie zu einem elektrischen Abend mit dem Cooperative Ensemble am 9.12. ein.

 

In der Bonner Trinitatiskirche trifft am 2.12. Musik von Denhoff, Ustwolskaja und Schostakowitsch auf Literatur. Die In Situ Art Society veranstaltet regelmäßige Konzerte im Dialograum Kreuzung An St. Helena. Im Dezember findet anlässlich des 100. Geburtstages von Iannis Xenakis ein dreitägiges Festival statt, das vom Ensemble Musikfabrik am 9.12. in der Bundeskunsthalle eröffnet wird.

 

Das Krefelder Theater am Marienplatz spielt immer freitags um 22 Uhr ein monatlich wechselndes Programm. Im Dezember kommt Stahl-Werk zum Einsatz.

 

In Moers laufen bereits die Vorbereitungen für das Pfingstfestival. Bis es soweit ist kann man Tomeka Reid, zurzeit improviser in residence, lauschen.

 

In der Black Box in Münster steht improvisierte Musik am 3., 4. und 9.12. auf dem Programm und am 10.12. kommen in der Musikhochschule Werke von Winfried Michel zur Aufführung. Im Pumpenhaus wird am 7.12. die Society For Putting Things On Top Of Other Things erwartet.

 

Christiane Oelze und das E-Mex-Ensemble widmen sich am 20.12. im Kultur- und Medienzentrum Pulheim dem Fluchtpunkt Asien.

 

Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen lädt am 1.12. zu einem Orgelkonzert in die Nicolaikirche.

 

Am 3.12. ist im Lichtturm in Solingen die Soundinstallation Ein Mensch ist keine Fackel zu erleben.

 

In der Wuppertaler Oper hat am 3.12. das Musiktheater Obsessions Premiere. Für das von NOperas! geförderte Projekt hat das finnische Theaterkollektiv Oblivia mit der chinesischen Komponistin Yiran Zhao zusammengearbeitet. Am 7.12. ist das Ensemble BRuCH mit seinem Programm stottern, stammeln, zagen im Wuppertaler Ableger der Kölner Musikhochschule zu Gast und das Sinfonieorchester Wuppertal bringt am 11. und 12.12. zusammen mit Martin Grubinger Daníel Bjarnasons Percussion-Konzert zur deutschen Erstaufführung. Im ort stehen der cine:ort am 8.12., Neue Musik für Klaviertrio am 9.12., akustische Kunst von Joachim Zoepf am 15.12. und die taiwanesische Schlagzeugerin Shiau-Shiuan Hung am 16.12. auf dem Programm.

 

Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.

 

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW

 

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