


Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe April 2025
Gewesen: notabu.ensemble mit Rihms Jagden und Formen – Informationslandschaft NRW
Angekündigt: Noperas! in Gelsenkirchen – Björkoper mit der Musikfabrik in Bonn u.v.a.m.
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[notabu.ensemble mit Rihms Jagden und Formen]
Diesmal hatte sich das notabu.ensemble unter seinem Leiter Mark-Andreas Schlingensiepen etwas ganz besonderes vorgenommen: Am 29.3. erklang im großen Saal der Düsseldorfer Tonhalle als einziger Programmpunkt Wolfgang Rihms Jagden und Formen. Rihm war dem Ensemble zu Lebzeiten sehr verbunden, u.a. kuratierte er 2011 die 9. Ausgabe des Festivals 'Ohren auf Europa'. Das Vorhaben, sein knapp einstündiges Orchesterwerk zur Aufführung zu bringen, war bereits vor seinem Tod im Juli 2024 ins Auge gefasst worden und geriet nun zur nachträglichen Würdigung. Jagden und Formen wurde 2001 vom Ensemble Modern uraufgeführt, aber seine Ursprünge können bis in die 90er Jahre zurückverfolgt werden. Zudem sind frühere Werke in ihm aufgegangen, weshalb Rihm von einer „mäandernden Werklandschaft" sprach. Zu einer weiteren Überarbeitung kam es anlässlich einer Zusammenarbeit des Ensemble Modern mit der Choreographin Sasha Waltz. Der daraus resultierende sogenannte Zustand 2008 kam nun in Düsseldorf zu Gehör.
Das Wuchernde dieses Work in Progress ist dem Stück im positiven Sinne von Anfang an eingeschrieben. Den Auftakt gestalten zwei Violinen, die sich gegenseitig antreiben und das Energieniveau für die nächste Stunde vorgeben. Während die anderen Instrumente einstimmen, entsteht ein rauschhafter Sog, dem man nicht entrinnen kann. Doch dies ist keine überbordende Überwältigungsmusik, viel zu abwechslungsreich gestaltet sich die Landschaft. Manchmal schraubt sich die Musik in die Höhe, dann erkundet sie dunklere Gefilde, manchmal scheint sie zu stolpern, innezuhalten, einen Moment lang sogar ganz zu versiegen; das Schlagzeug setzt markante Akzente, gelegentlich dünnt der Strom aus, wird durchsichtig, einzelne Instrumente (Englischhorn!) treten in den Vordergrund, aber die vorwärtsdrängende Energie gewinnt immer wieder die Oberhand, reißt alles mit sich. Mehr Jagden als Formen glaubt man wahrzunehmen, aber Form ist für Rihm letztlich nur eine „Gestalt des Wandels“, derer man letztlich nicht habhaft werden kann, die immer schon vorbei ist, wenn man sie zu fassen meint. Mark-Andreas Schlingensiepen führt das auf 24 Musiker und Musikerinnen erweiterte Ensemble mit sicherer Hand; man spürt, dass ihm diese Musik ein Herzensanliegen ist.
[Informationslandschaft NRW]
Da ich im März urlaubsbedingt kaum Konzerte besucht habe, über die ich berichten könnte, nutze ich die Gelegenheit, mir die Informationslandschaft in NRW anzuschauen.
Als erstes fallen mir natürlich die MusikTexte ein. Auch wenn mein Abo nicht ganz bis zum Gründungsjahr 1983 zurückreicht, haben die gelben Hefte meinen Weg zur Neuen Musik zuverlässig begleitet. Viele später für mich wichtige Namen habe ich hier zum ersten Mal gelesen, mancher etwas sperrige Artikel hat mich ratlos mit der Frage zurückgelassen, ob ich zu simpel gestrickt bin oder der Text zu kompliziert. Irgendwann habe ich gemerkt, dass beides vorkam. Mit Reinhard Oehlschlägel, damals noch Musikredakteur beim Deutschlandfunk, und Gisela Gronemeyer hatten die MusikTexte zudem ein Gesicht, dem man regelmäßig in Köln und bei allen einschlägigen Veranstaltungen begegnen konnte. Bis zu ihrem unerwarteten Tod 2023 war Gisela Gronemeyer der gute Geist der gelben Blätter und daher war klar, dass es ohne sie nicht einfach weitergehen konnte. Die ihr gewidmete Doppelausgabe 177/178 im Mai 2023 war daher die letzte, die in den Druck ging, doch zum Glück bedeutete dies nicht das Aus für die MusikTexte. Mit verjüngtem Redaktionsstab ist im Oktober 2024 die Online-Ausgabe an den Start gegangen, die unter musiktexte.online abrufbar ist und monatlich unter verschiedenen Rubriken Artikel zur Verfügung stellt. Aktuelle Veranstaltungsberichte finden sich neben Analysen, Interviews und 'hervorgeholten' Texten aus den alten Printausgaben. Ergänzend wurde der von Hanna Fink, Hannah Otto und Karl Ludwig verantwortete MusikTextePodcast ins Leben gerufen, dessen erste Folge sich mit einem Werk von Francesca Verunelli befasst.
Was das Medium Podcast betrifft, so ist Irene Kurka Vorreiterin: Vor mehr als sechs Jahren veröffentlichte sie die erste Folge von 'neue musik leben', inzwischen sind bereits mehr als 250 Ausgaben zusammengekommen und vierzehntägig erscheinen neue. Neben einigen Solofolgen handelt es sich vorwiegend um Interviews und die Liste der dabei zu Wort kommenden Personen liest sich wie ein Who's Who der zeitgenössischen Musikszene. Irene Kurka gelingt es, in den Gesprächen eine persönliche Atmosphäre herzustellen, wozu auch der Umstand beiträgt, dass sie als Sopranistin einen direkten Zugang zur Musik mitbringt. Wer es gerne gedruckt mag, dem kann ebenfalls geholfen werden: Ausgewählte Beiträge sind in Buchform erhältlich.
Als Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW versteht sich noies, das auf einer Kooperation zwischen dem Kölner Netzwerk ON Cologne, der Gesellschaft für Neue Musik Ruhr (gnmr) und der Kölner Gesellschaft für neue Musik (kgnm) basiert. Je nach Vorliebe online oder als wunderbar schlabbriges Blättchen wird ein buntes Potpourri geboten, das ganz bewusst über den musikalischen Tellerrand hinausschaut und auch Platz findet für Fotostories, Liebesbriefe und Gedankenexperimente.
Ein ganz besonders interessantes Gewächs hat seine Wurzeln in der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf genauer im Masterstudiengang Klang und Realität des Instituts für Musik und Medien. Angeregt durch ein Seminar bei Prof. Dr. Heike Sperling fiel einigen aufmerksamen Studierenden auf, dass das kreative Schaffen von Frauen noch sehr unterbelichtet ist. Einmal auf die Spur gesetzt trat eine Fülle von Material zu Tage, dass unbedingt mit der Welt geteilt werden wollte. Daraus entstanden unter dem Titel grapefruits farbige DINA5-Heftchen, die seit 2019 zweimal im Jahr das Licht der Welt erblicken und jeweils ein bestimmtes Thema wie Voice, Rhythm oder Punk ins Visier nehmen. Ich bin jedes Mal erstaunt, wer und was hier alles zum Vorschein kommt. Von Pionierinnen wie Maryanne Amacher über bildende Künstlerinnen wie Alicja Kwade bis zu für mich völlig unbekannten Namen reicht die Bandbreite und hört bei Bärchen und die Milchbubis noch lange nicht auf. Der Titel bezieht sich auf Yoko Onos Künstlerinnenbuch Grapefruit, eine Ikone der Konzept- und Performancekunst voller mal ganz handfester, mal hochpoetischer Instruktionen. Da versteht es sich von selbst, dass die neunte und neueste Ausgabe anlässlich der soeben zu Ende gegangenen großen Ausstellung im K20 Yoko Ono gewidmet ist.
Natürlich gibt es auch noch den guten, alten WDR, der in seinem Newsletter: WDR 3 Neue Musik über aktuelle Sendungen und Konzerte informiert. All diese Initiativen haben, auch wenn sie weit darüber hinaus ausstrahlen und wie grapefruits international – sprich auf Englisch – daherkommen, ihre Wurzeln in NRW. Keine schlechte Ausbeute!
[Termine im April]
Köln
In der Philharmonie stehen Pierre Boulez, Lanqing Ding und Pedro Emanuel Pereira am 13.4., Detlev Glanert am 25.4., Wolfgang Rihm am 27.4., Jörg Widmann am 28.4. sowie Luciano Berio, Sofia Gubaidulina und Iannis Xenakis am 29.4. auf dem Programm. Die Kunststation Sankt Peter kündigt ein Konzert mit dem Studio Musikfabrik am 4.4., Lunchkonzerte am 5.,12.,19. und 26.4. sowie ein Karfreitagskonzert am 18.4. an. Das Studio Musikfabrik ist am 3.4. auch in der Hochschule für Musik und Tanz zu erleben und am 7.4. lädt die Musikfabrik zum Montagskonzert. Im Stadtgarten erwarten uns die Stadtgarten Experimental Band am 11.4., die Formationen Re:membrane und Bishop-Müller-Muche am 24.4. und Ephemeral Fragments am 28.4. Die Stille der Dinge ist am 14., 15., 16. und 18.4. in der Lutherkirche sowie am 30.4. im Rahmen der monatlichen Soirée Sonique zu erleben.
Am 9.4. setzt das Ensemble Modern seine Reihe 'Wie frei ist die Kunst?' im Filmforum des Museum Ludwig fort, rEVOLUTION, ein Musiktheater from outer space, mit dem Ensemble Interstellar 227 kommt am 12.4. gleich dreimal im Block 7 zur Aufführung, Irene Kurka und Thomas Wegst interpretieren am 18.4. in der Markuskirche in Porz spaeculum vitae von Flor Peeters und die reiheM präsentiert am 30.4. Bob Ostertag, Nicolas Collins & Birgit Uhler im Loft, wo fast täglich spannende Konzerte stattfinden. Die Plattform nicht dokumentierbarer Ereignisse kündigt Audrey Lauro, Michel Doneda und Georg Wissel am 7.4. und Gabby Fluke-Mogul, Ben Jones und Angelika Sheridan am 13.4. an und im MAKK erwarten uns am 30.4. stumme Schreie und schräge Töne mit den Ensembles E-MEX, beep:olar und InterZon perceptible.
Einblicke in die freie Szene bekommt man bei ON Cologne und Noies, der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW, jeden 2. und 4. Dienstag im Monat sendet FUNKT ein Radioformat mit Elektronik und Klangkunst aus Köln (am 8.4. mit Rochus Aust und am 22.4. mit Patricia Koellges und Tamara Lorenz) und jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat wird der Ebertplatz von der Reihe Bruitkasten bespielt. Weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm, Musik in Köln und impakt, sowie Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.
Ruhrgebiet
Im Kunstmuseum Bochum erwarten uns am 5.4. Klangbilder und am 26.4. die Soundtrips NRW.
Am 10.4. steht The Dorf im Dortmunder domicil auf der Bühne und in der Parzelle sind am 5.4. Matthias Muche, Constantin Herzog, Etienne Nillesen und Silke Strahl zu Gast und am 25.4. elektronisch-musikalisches Objekttheater mit dem Trio Bröcker / Keller / Walter.
Im Duisburger Lokal Harmonie hat am 5.4. rEVOLUTION Premiere, ein Musiktheater from outer space mit dem Ensemble Interstellar 227, das Ensemble Crush kommt am 13.4. in die Kirche St. Ludger und im earport wird am 27.4. eine neue Ausstellung mit einem Performancekonzert eröffnet.
Die Gesellschaft für Neue Musik Ruhr bietet in Essen mit dem Format FRIM am 3.4. einen offenen Raum für Improvisation, im Rabbit Hole Theater stehen am 7.4. Paul Hubweber, John Edwards und Simon Camatta auf der Bühne, das Ensemble S201 präsentiert am 11.4. im ChorForum die Side Street Show und in der Philharmonie erklingen am 27.4. Werke von Schnittke, Ligeti und Widmann.
Im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen kommt am 13., 19. und 26.4. experimentelles Musiktheater aus der Reihe Noperas! zur Aufführung. Oper Otze Axt wurde inspiriert vom Leben des DDR-Punkmusikers Dieter „Otze“ Ehrlich. Im 8. Sinfoniekonzert am 14.4. erklingt Let there be light von Bohdana Frolyak.
Im Makroscope in Mülheim an der Ruhr erwartet uns am 25.4. ein improvisiertes Konzert für Riesenplattenspieler, Kontrabass und viele Lautsprecher.
Düsseldorf
Die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und Künste veranstaltet am 5.4. das Fest der intuitiven Musik und das Ensemble S201 präsentiert am 11.4. im ES365 die Side Street Show.
Sonstwo
Soundtrips NRW schickt vom 26.4. bis 6.5. Almut Kühne und Joke Lanz durch's Land und lässt die beiden im April in Bochum, Gelsenkirchen, Bonn und Wuppertal auf wechselnde Gäste treffen.
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik kündigt die Reihe 'Hören und Sprechen über Neue Musik' am 4.4., das Junge Podium am 13.4. und aktuellen Jazz am 5.4. und 26.4. an.
Die Bielefelder Cooperativa Neue Musik veranstaltet am 7.4. den nächsten Jour fixe und in der Zionskirche finden Kammermusikkonzerte am 6. und 27.4. sowie Orgelkonzerte am 13. und 21.4. statt.
Am 5.4. hat im Theater Bonn Verspertine, eine Oper nach dem gleichnamigen Album von Björk, unter Mitwirkung der Musikfabrik Premiere und Michael Denhoff feiert am 26.4. in der Trinitatiskirche seinen 70. Geburtstag.
Das Krefelder Theater am Marienplatz verbindet in der neuen Spielzeit jeweils freitags um 22 Uhr Texte und Musik, Irene Kurka und Eva-Maria Houben sind am 6.4. in der Kirche St. Peter in Uerdingen zu Gast und im Stadttheater ist ab 19.4. eine Neuinszenierung der Oper Die Passagierin von Mieczysław Weinberg zu erleben.
Der aktuelle Improviser in Residence in Moers Baris Maris trifft am 10.4. auf das Ava Trio.
Jan Klare und The Dorf laden im Theater im Pumpenhaus in Münster am 4.4. und 5.4. zur DorfDisco ein und in der Black Box sind am 27.4. Nicolas Collins und Birgit Ulher mit ihren Trompeten zu hören.
Unter der Leitung von Michael Schultheis und Dominik Susteck befasst sich am 14 . und 15.4. eine Veranstaltung im Liborianum Paderborn mit dem Thema 'Neue Musik im Raum der Kirche heute'.
Das Studio Musikfabrik kommt am 2.4. in den Wittener Saalbau.
Im Wuppertaler ort stehen die Reihe 'Jazz' mit Matthias Muche, Constantin Herzog, Etienne Nillesen und Silke Strahl am 4.4., die Reihe 'Neue Musik' mit Wilfried Krüger und Alex Dorsch am 26.4. sowie die Soundtrips NRW am 30.4. auf dem Programm.
Unter dem Motto We Are All You lädt Matthias Härtwig am 5.4. ins Alte Rathaus Würselen ein.
Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
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