Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe August 2017

Gewesen: ingolf in Gelsenkirchen

Angekündigt: Wandelweiser in Düsseldorf – Auftakt Ruhrtriennale u.a.

 

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[ingolf geht auf die Bühne in Gelsenkirchen]

 

Am 6.7. fand das vom Fonds Experimentelles Musiktheater (feXm) initiierte ingolf-Projekt im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier seinen krönenden Abschluss. Ausgehend von einem realen Menschen in einer realen Berliner Wohnung haben Daniel Kötter und Hannes Seidl über einen Zeitraum von fast 1 ½ Jahren sich immer weiter von der Bühne ausgehend hinter den Kulissen und schließlich im Gelsenkirchener Stadtraum ausgebreitet und dabei die Grenzen zwischen Oper und Alltag auf spielerische Weise verschwimmen lassen. Ich war regelmäßig dabei und habe darüber berichtet, weshalb ich jetzt nicht alles rekapitulieren möchte. (s. ingolf #1, ingolf#2, ingolf#3, ingolf#4). Ausgerechnet beim 5. Akt ingolf macht freunde musste ich allerdings passen. Daher ist mir entgangen, was sich im ehemaligen Schuhhaus Bruhns am Neumarkt abspielte, wo jeder eine Bühne bekam und zwischen den (nachgebauten) Versatzstücken aus ingolfs Behausung selbst ingolf werden konnte. Im allwissenden Internet habe ich dazu leider nur einen klitzekleinen Videoschnipsel gefunden.

Zum Abschluss schließt sich der Kreis. Mit einer begehbaren Konzertinstallation, die gleichzeitig als Ouvertüre fungiert, geht ingolf zurück ins Theater (ingolf geht auf die bühne) und wie es sich für eine Ouvertüre gehört, gibt es eine (Wieder-)Begegnung mit den verschiedensten Motiven des Geschehens. Verteilt auf der Bühne des Großen Hauses stimmen Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen die ingolf-Ouvertüre an. Stehende Klänge punktiert von klagenden Bläsertönen füllen den Raum, das Keyboard mischt sich mit ruhig vor sich hinschreitenden Melodielinien ein, irgendwann kommen die Sopranistin Judith Caspari mit ätherischen Thereminklängen und der Opernchor des MIR hinzu. Das Publikum schreitet schlafwandlerisch durch den leicht vernebelten Raum und gerät in den Sog des manchmal aus dem Ruder laufenden und dann wieder gravitätisch dahingleitenden Klangstroms. Aus Lautsprechern dringen unaufdringlich Reminiszenzen früherer Aktivitäten (Ingolfs Opernvisionen, die Blaskapelle, die den Auszug begleitete) und in leicht erhöhter Position thront – zum Greifen nah und unerreichbar zugleich – der Nachbau von Ingolfs Wohnung, von der alles ausging. Für die nötige Bodenhaftung sorgt ein Imbissstand am Bühnenrand, wo sich, wer mag, mit Currywurst und Bier versorgen kann, und hier findet man auch Ingolf Haedicke, der sich mit diesem Finale ganz zufrieden zeigt. Schließlich weitet sich der Raum wie von Zauberhand und öffnet – begleitet von einem frischen Lufthauch – den Blick auf den leeren Zuschauerraum und die übriggebliebenen Kulissen vergangener Opern. Einige von Ingolfs Visionen haben sich erfüllt. Es ging „raus aus dem Theater, raus aus dieser bürgerlichen Muffbude“ - aber auch wieder zurück, aus dem „Fressen, Saufen, Rumhuren“ ist natürlich nichts geworden, alles bleibt gesittet, nicht einmal rauchen darf man hier. Die tausendfach beschworene Sehnsucht, die Grenzen zwischen Kunst und Alltag zu überwinden, bleibt eine Illusion, aber eine wunderbare, die gerade in ihrer Unerfüllbarkeit immer neue fantastische Blüten treibt. Diesen von Daniel Kötter und Hannes Seidl ausgesäten Schlingpflanzen mehr als ein Jahr zu folgen, hat großen Spaß gemacht. Dass das Musiktheater im Revier unterstützt von feXm sich auf das Experiment eingelassen und ohne Aussicht auf ein massentaugliches Event diesen enormen Aufwand betrieben hat, ist fantastisch und eben nur möglich, weil es jenseits des manchmal deprimierenden Alltags jene seltsam wuchernden Kunstbiotope gibt, die ihre Fühler nach der sogenannten Wirklichkeit ausstrecken, ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen.

 

[Termine im August]

 

Köln

 

Nicht viel los im August. Selbst die Terminkalender von musik-in-koeln.de und kgnm sind fast leer. Am 25.8. ist Janneke van der Putten im Quartier am Hafen mit einer Stimm-Performance in einer audio-visuellen Installation zu erleben und für den 27.8. werden Kompositionen und Improvisationen für Kammerchor und Instrumente mit der Les Saxosythes-Werkstatt und dem Lunyala Trio in der alten Feuerwache angekündigt.

Außerdem versucht Martin Albrecht am 6.8. mit einer synästhetischen Performance den Scriabincode zu knacken. Das Programm in der Reihe Chamber Remix wird ergänzt durch einen Live-Remix von Eva Pöpplein.

Vom 23. bis 27.8. kann man sich bei der 14. Ausgabe von Sound Track_Cologne über Musik und Ton in Film und Medien informieren.

 

Ruhrgebiet

 

Vom 7. bis 25.8. lädt das Bassklarinetten-Ensemble 'Die Verwechslung' zu einer Trinkhallentour quer durchs Ruhrgebiet ein. Gemeinsam mit rund 20 Gastkünstlern aus den unterschiedlichsten Sparten besuchen sie drei Wochen lang Kioske und Trinkhallen im gesamten Ruhrgebiet, und verwandeln sie für jeweils einen Abend in experimentelle Bühnen für zeitgenössische improvisierte Musik. Diesmal sind belgische Gäste dabei und im Oktober ist ein Abstecher nach Belgien geplant.

 

Am 18.8. startet die Ruhrtriennale in die nächste Saison, die letzte unter der Intendanz von Johan Simons. Im Bereich Musiktheater stehen im August Kein Licht nach Elfriede Jelinek mit Musik von Philippe Manoury und Pelléas et Mélisande von Claude Debussy auf dem Programm. Außerdem sind Saties Socrate am 20.8., ein Projekt zum Thema Memoria mit Musik von Tomás Luis de Victoria, John Cage und Morton Feldman vom 25. bis 27.8. sowie Konzerte im Maschinenhaus in Essen zu erleben.

 

Düsseldorf

 

Wandelweiser lädt vom 15.bis 20.8. zu einem weiteren langen Wochenende in die Himmelgeisterstraße ein. Diesmal erwarten uns Musik von Eva-Maria Houben und Dante Boon, eine Parsifal-Lesung, eine Installation von Rasha Ragab mit frühen arabischen Gedichten und einiges mehr. Bereits vom 1. bis 4.8. ist das von André O. Möller kuratierte Programm the line that opens mit elektronischer Musik zu erleben.

Der ebenfalls mit Wandelweiser verbundene Marcus Kaiser wird am 30.8. den Worringer Platz bespielen. In seinem Werk an einem ort - an einem anderen ort treffen gegenwärtige Klänge auf vergangene und auf Umgebungsgeräusche.

 

Sonstwo

 

Im Rahmen des Altenberger Kultursommers kommt am 12.8. im Altenberger Dom Karsten Gundermanns Oratorium zum Reformationsjubiläum Des Menschen Wille zur Aufführung.

 

Anlässlich der Ausstellung Comics! Mangas! Graphic Novels! in der Bonner Bundeskunsthalle spielt das Bundesjugendorchester am 17.8. Musik für Comicfilme. Dabei erklingt ein Werk von Alfred Schnittke zu dem sowjetischen Animationsfilm Die Glasharmonika als deutsche Erstaufführung.

 

Die Stockhausen-Kurse in Kürten mit abendlichen Konzerten bei freiem Eintritt werden noch bis 6.8. fortgesetzt.

 

Das Ensemble Horizonte begleitet am 27.8. eine Ausstellungseröffnung im Haus Eichenmüller in Lemgo mit einem Wandelkonzert.

 

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