Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe Januar 2026
Gewesen: Manos Tsangaris im Museum Kolumba
Angekündigt: Folkwang Woche Neue Musik in Essen – Frakzionen in Bielefeld – PART-Ensemble mit Realness-Festival in Düsseldorf und Köln u.v.a.m.
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[Manos Tsangaris im Museum Kolumba]
2024 wurde der ehemalige Kagelschüler Manos Tsangaris mit dem von der Kunststiftung NRW ausgelobten Mauricio Kagel Musikpreis ausgezeichnet und als „einer der international bedeutendsten Vertreter des Neuen Musiktheaters“ geehrt. Der Preis ist mit 80.000 € dotiert, wobei ein Teil der Summe in die Realisierung eines Werks mit einem Ensemble aus NRW fließen soll. Mit der Uraufführung von close Up – lontano 3 durch das Ensemble hand werk, die Sopranistin Friederike Kühl und weitere Mitwirkende hat dieses Projekt nun im Kolumba, dem von Peter Zumthor entworfenen Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Gestalt angenommen. An das Motto der gegenwärtigen Jahresausstellung make the secrets productive! schließt Tsangaris unmittelbar an; mit dem Geheimnisvollen, dem Ambivalenten, dem Uneindeutigen kennt er sich aus und wie sein Werktitel bereits anzeigt sucht er es diesmal in der Gleichzeitigkeit von Nähe (close Up) und Ferne (ital. lontano, entfernt). In Gruppen von jeweils sieben Personen werden wir durch „ein Stationentheater in verbundenen Räumen“ geleitet, wobei die fünf Stationen jeweils von einem Imperativ überschrieben sind. Die einzelnen ca. 10-minütigen Etappen laufen parallel ab, so dass uns, als wir im zweiten Stock aus dem Fahrstuhl entlassen werden, aus der Ferne bereits eine Gesangsstimme und eine Posaune entgegen tönen. Doch zunächst werden wir in die entgegengesetzte Richtung in eine scheinbare Sackgasse gelockt. Ganz dicht sitzen wir vor einem offenen Klavier, dessen Eingeweide von einem Pianisten bearbeitet werden, während zwei Mitwirkende sich im Beuysschen ‚Ja ja ja ja ja ne ne ne ne ne‘-Singsang ergehen. ‚Lausch!‘ heißt es, die scheinbare Sackgasse entpuppt sich beim Öffnen einer Fahrstuhltür als Durchgangszimmer, doch während mir alles mögliche durch den Kopf schießt und ich versuche, weitere Details des Szenarios einzuordnen (ein lautlos rotierender Plattenteller, eine vergängliche Schrift an der Wand), werden wir schon weitergeleitet. Denn Bleiben ist nirgends, alles ist Transit, alles ist Übergang. Der Weg führt uns in die Bibliothek, einem hohen, von edler Holzvertäfelung und großen Fenstern geprägten Raum. Während wir von in unserem Rücken spielenden Streicher- und Flötenklängen umhüllt werden, ist unser Blick auf zwei schweigende, uns frontal gegenübersitzende Personen gerichtet, über deren Köpfen Texte projiziert werden. ‚Lies!‘ heißt die Aufforderung diesmal, lies die Worte, lies die Gesichter, lies die Maserungen des Holzes, alles wird zum Zeichen und lässt sich doch nicht eindeutig entschlüsseln, alles ist gedeutete Welt, in der wir bekanntermaßen nicht sehr verlässlich zu Haus sind. Vorbei an Tsangaris’ dauerhaft installierter Kugelbahn, die wir diesmal nicht in Aktion erleben, betreten wir den großen Verbindungsraum und können nun auch das bislang nur aus der Ferne Hörbare zuordnen. Doch zunächst werden unsere Sinne in einen Nebenraum auf eine Tragedia civile, eine bürgerliche Tragödie, gelenkt (‚Schau!‘). Jannis Kounellis gleichnamiges Werk, bei dem er vor einer mit gleißendem Blattgold überzogenen Wand einen mit Hut und Mantel behängten Kleiderständer platziert, handelt ebenfalls vom Miteinander des Transzendenten und des Profanen, von Aufgehoben- und Verlorensein, von Übergang und Übrigbleiben. Die Sopranistin Friederike Kühl lädt dieses Ensemble mit ihrem Gesang zusätzlich auf, bevor sie sich unserer kleinen Gruppe zuwendet, direkt vor uns Platz nimmt, uns ganz nah kommt und kein Ausweichen zulässt. Die vierte Station (‚Sei!‘) erfordert nur einen Platzwechsel um 180° und doch ergibt sich ein ganz anderes Szenario. Ohne direktes menschliches Gegenüber nimmt die Hellhörigkeit zu; eine Geige gibt sich hin, säuselt ganz nah am Ohr, die Posaune, die sich schon zu Beginn unseres Weges aus der Ferne bemerkbar machte, erfüllt den Raum, hinzukommen geräuschhafte Gesten, schwirrende Ruten, metallisches Klirren, klackernde Hölzer, die jeweils den Übergang von einer Station zur nächsten markieren. Die letzte (‚Sieh!‘) führt uns in einen hohen turmartigen Raum, wir sitzen im Rund, in das sich Cello und Trompete einfügen. Fast lebensgroß steht zwischen uns ein Schmerzensmann aus dem 15. Jahrhundert. Als sich ihm gegenüber (unter Paul Theks Gefiederter Schlange) ein Obdachloser aus seinem Schlafsack schält, wirkt dies einen Moment lang fast plump, wie ein unangemessener Einbruch des Alltäglichen. Aber vielleicht wohnt Christus hier seiner eigenen Auferstehung bei oder die Trompete bläst zum jüngsten Gericht.
Tsangaris macht die Geheimnisse produktiv, er greift vorhandene Fäden auf, verwebt sie mit neuen und knüpft unerwartete Verbindungen, während im Kopf ein Schneegestöber aus Bildern, Worten, Erinnerungen entfacht wird, entsteht durch Klänge und Geräusche, minimalistische Szenerien und unmittelbare Begegnungen eine geschärfte Wahrnehmung und damit eine besondere Sinnlichkeit und Empfindsamkeit. Der Körper wird zur Bibliothek. Das Nahe und das Ferne, das Profane und das Sakrale, das Geistige und das Körperliche, das Schreckliche und das Tröstliche, Aura und Spur begegnen sich. Lebendige machen alle den Fehler, dass sie zu stark unterscheiden.
Als ich nach einer guten Stunde wieder die Straße betrete, fühle ich mich selbst gegen den Kölner Weihnachtswahnsinn wohltuend gefeit.
[Termine im Januar]
Köln
In der Philharmonie stehen das Ensemble Modern mit Steve Reichs Music vor 18 Musicians am 6.1., das Trio Catch am 15.1. und die Academy of St Martin in the Fields mit einem Werk von Kevin Puts am 18.1. auf dem Programm. Die Musikfabrik kündigt das Abschlusskonzert der Virtual Brass Academy am 12.1., ein Montagskonzert am 19.1., das 95. Konzert der Reihe 'Musikfabrik im WDR’ am 30.1. und einen Auftritt des Kölner Chaos Orchesters am 31.1. an. In der Hochschule für Musik und Tanz erwarten uns ein Konzert der Kompositionsklassen am 7.1., ein Neue Musik-Abend für acht Posaunen am 22.1. sowie jeweils mittwochs die Ringvorlesung über Zukunftsmusik. Bei freiem Eintritt sind am 8.1. und 9.1. die NICA Artists im Stadtgarten zu erleben und am 26.1. ist in der benachbarten Christuskirche das Trio Abstrakt zu Gast.
Beim 4. Raderbergkonzert des Deutschlandfunks am 13.1. spielt das Schlagzeugensemble TrioColores auch zeitgenössische Klänge, in der WDR-Reihe 'Musik der Zeit #Atelier' am 14.1. bringt das WDR Sinfonieorchester Werke des musikalischen Nachwuchses zur Aufführung und in der Fuhrwerkswaage wird am 16.1. die interaktive Klanginstallatino Ripples der Künstlerin und Komponistin Claudia Robles-Angel eröffnet (bis 1.2. erlebbar). In der Reihe 'soundings' der Kunsthochschule für Medien ist am 22.1. das Künstlerkollektiv multilogue zu Gast, beim Neujahrskonzert des Japanischen Kulturinstituts trifft am 23.1. Tradition auf Gegenwart und das Ensemble hand werk setzt am 24.1. seine Reihe mit guter Musik in der Alten Feuerwache fort.
Einblicke in die freie Szene bekommt man bei ON Cologne und Noies, der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW, jeden 2. und 4. Dienstag im Monat sendet FUNKT ein Radioformat mit Elektronik und Klangkunst aus Köln und jeden letzten Mittwoch im Monat findet die Soirée Sonique im LTK4 statt. Fast täglich gibt es interessante Konzerte im Loft und weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm, Musik in Köln und impakt sowie Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.
Ruhrgebiet
Das auf Live-Musik zu Stummfilmen spezialisierte Ensemble Interzone Perceptible ist am 15.1. in Bochum und am 16.1. in Duisburg zu erleben.
Das Schumann Quartett spielt am 15.1. im Dortmunder Konzerthaus ein Streichquartett von Amy Beach und ebenfalls am 15.1. steht The Dorf im domicil auf der Bühne
Als Nachspiel der Folkwang Woche Neue Musik kommen am 24.1. im Duisburger Ableger der Hochschule frische Klänge zu Gehör und im EarPort wird am 25.1. eine neue Ausstellung mit einem Performancekonzert eröffnet.
Die Folkwang Universität in Essen veranstaltet vom 12. bis 15.1. die Folkwang Woche Neue Musik. Außerdem stehen Kompositionen von Folkwang-Lehrenden am 6.1., die Tape Session am 8.1., junge Neue Kammermusik aus der Türkei am 28.1. und das Impr%rchester am 31.1. auf dem Programm. In der Philharmonie spielt die Academy of St Martin in the Fields am 11.1. ein Werk von Kevin Puts und die Neue Musik Zentrale lädt am 10.1. zum Treff13.
Düsseldorf
Das PART-Ensemble veranstaltet vom 8. bis 10.1. in Kooperation mit der New Yorker Gruppe Unheard-of//Ensemble das Festival Realness mit einem Symposium an der Düsseldorfer Heinrich Heine Universität sowie Konzerten in Düsseldorf und Köln. Die Sammlung Philara beendet die Ausstellung Modular Organ am 24.1. mit einem Artist Talk in der Ausstellung und (in Zusammenarbeit mit dem IDO-Festival) einer Orgelnacht in St. Antonius Oberkassel. In der Tonhalle erklingt am 16., 18. und 19.1. ein neues Werk von Gordon Hamilton.
Sonstwo
In der Aachener Raststätte erwartet uns am 7.1. Synthesizer Jam und die Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen kündigt für den 16.1. aktuellen Jazz mit dem Anirahtak Trio an
Die Cooperativa Neue Musik in Bielefeld veranstaltet monatlich einen Jour fixe und in der Zionskirche findet vom 11. bis 18.1. wieder das Frakzionen-Festival statt. Mit dabei sind diesmal das Trio Abstrakt, die Ensemble Ascolta, BRuCH und Earquake u.v.a.m.
Das Ensemble Horizonte präsentiert am 17.1. in der Bonner Lutherkirche Johann Sebastian Bach und die Moderne.
In der Hochschule für Musik in Detmold stehen ein Vortragsabend der Klasse Prof. Dr. Mark Barden am 9.1. und ein Konzert mit dem Ensemble Earquake am 25.1. auf dem Programm.
Das TAM, Theater am Marienplatz in Krefeld, lädt jeweils freitags um 22 Uhr zum Nachtprogramm.
Die Musikhochschule Münster widmet sich am 9.1. dem Münsteraner Komponisten Winfried Michel und in der Black Box erwarten uns geballte Münsteraner Improvisationspower am 4.1., in der Reihe elektroflux:kunstkopf Gregor Bohnensack am 18.1. und mifuri mit Claudius Lazzeroni und Eicke Riggers am 25.1. sowie das Duo Abdelnour/Dimitradis am 24.1.
Im Wuppertaler ort stehen The Sound of Sisterhood in der Reihe ‚all female‘ am 11.1., ein Film über Dieter Fränzel in der Reihe ‚cine:ort‘ am 18.1., das Trio RüboSOM am 28.1. und der Auftakt der nächsten Runde der Soundtrips NRW mit dem Saxophonisten Felix Nussbaumer am 31.1. auf dem Programm. Anlässlich des 100. Geburtstags von Morton Feldman gastieren das JACK Quartet und die Pianistin Florence Millet am 16.1. im Skulpturenpark Waldfrieden.
Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
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