Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe August 2018

23. Juli 2018

Gewesen: Wandelweiser-Klangraumsommer in Düsseldorf – UA von Bojan Vuletic beim Asphalt-Festival in Düsseldorf 

Angekündigt: Auftakt Ruhrtriennale – leise dröhnung in Köln – 3X4 Tage minimal? in Düsseldorf u.v.a.m.

 

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[Wandelweiser-Klangraumsommer in Düsseldorf]

 

Sommerzeit in Düsseldorf ist Wandelweiserzeit und auch in diesem Jahr lud Antoine Beuger vom 24. bis 29.7. eine internationale Schar von Mitwirkenden in den Kunst- bzw. Klangraum, um gemeinsam eine Woche lang auf Erkundungstour zu gehen. Parallel dazu wurde Deutschland von einer Hitzewelle erfasst, die das Thermometer auf über 37 ° im Schatten steigen ließ. Keine leichte Zeit für ein Winterkind wie mich, doch Widerstand ist zwecklos und daher ist es das Beste, sich dem Unabänderlichen einfach hinzugeben. Für das Hören von Wandelweisermusik ist das gar keine schlechte Voraussetzung, denn auch hier empfiehlt es sich, ohne formende Erwartung und analytische Streifzüge einfach da zu sein. Hitze ist zudem ein sehr körperliches Phänomen, die Haut, der Atem, der Herzschlag, alles erlangt eine starke Präsenz, es entsteht eine andere Sensibilität, die noch empfänglicher macht für die sinnlichen, haptischen Aspekte der Musik. Das zeigte sich besonders bei den Beiträgen des norwegischen Gitarrenduos Fredrik Rasten und Rudolf Terland Bjørnerem, das eigene Werke sowie Stücke von Beuger und Johan Lindvall spielte. Die behutsamen, teils von fragilem Gesang begleiteten tröpfelnden Klänge fühlten sich an wie verdunstende Schweißperlen oder erfrischendes Rieseln. Der Gitarre kam in diesem Jahr übrigens eine besondere Rolle zu, denn den Abschluss jeden Tages bildete eine Interpretation von Eva-Maria Houbens preludes für Gitarre. Es war erstaunlich zu erleben, zu welch unterschiedlichen Ergebnissen die wechselnden Interpreten das schlichte Notenmaterial führten.

Wie bereits in den Vorjahren beschränkte sich das Programm nicht auf Musik im engeren Sinn, sondern bezog Theater, Tanz und Literatur ein. Für diesen weitgefassten Ansatz steht Alex Mah, der gemeinsam mit Aryo Khakpour eine erstaunliche Performance präsentierte. Es ist schwer zu beschreiben, was dieses optisch so ungleiche Paar da treibt. Scheinbar improvisierend, vor allem aber in hohem Maße spielerisch begegnen sie einander, schauen sich an, berühren sich, reagieren aufeinander und auf die Gegenstände und Gegebenheiten des Raumes; manchmal geraten sie aneinander, verfangen sich in wildem Gerangel, gelegentlich kommen akrobatische Elemente ins Spiel, dann konzentriert sich alles in einem Blick, einem Zucken der Mimik. Über allem liegt eine große Gelassenheit, da ist viel Humor, aber überhaupt kein Pathos, eine fast kindliche Unbefangenheit, doch ohne infantile Naivität.

Joep Dorren erfüllte sich den langgehegten Traum Krapp's Last Tape von Samuel Beckett auf die Bühne zu bringen. In dem Stück konfrontiert sich der alternde Krapp mit seinen Erinnerungen, indem er alte von ihm selbst eingesprochene Bänder abhört und kommentiert, so dass sich die Zeiten, Schichten und Facetten seines Ichs auf komplexe Weise überlagern. Bei Dorren verselbständigen sich die Erinnerungen und nehmen im wahrsten Sinne des Wortes Gestalt an. Wie der Nachtmahr in Füsslis Gemälde kauert die Schauspielerin Maria Neumann auf Krapps Pult, bevor sie sich von ihm löst, wie ein sich abspulendes Tonband durch den Raum schlängelt, sich qualvoll verknotet und immer weiter robbt, dabei Luckys wirren Monolog aus Warten auf Godot in einer expressiven Tour de Force hervorstoßend. Krapp wird zeitweilig zum Statisten in seinem eigenen Leben, versucht sich selbst den Weg zu weisen und rettet sich in ein clowneskes Spiel mit einer Banane. Dann wieder wird er von seinen Kombattanten geradezu heimgesucht, sie umschlingen ihn, sitzen ihm im Nacken, nehmen ihm die Luft zum Atmen. Im Laufe der Woche entwickelt die Inszenierung immer mehr Eigendynamik und streckt ihre Fühler in alle Richtungen aus. Aspekte und Personen der anderen Wandelweiserbeiträge werden assimiliert und wie schon im Stück selbst, wird das aktuelle Geschehen live aufgezeichnet und zeitverzögert wieder zugespielt. Dadurch verwandelt sich die Aufführung in die Erinnerung ihrer selbst und integriert schließlich auch das Publikum, indem Dorren dieses am letzten Tag explizit auffordert, eigene Assoziationen einfließen zu lassen. Das Erstaunliche ist, dass die Inszenierung bei aller Durchlässigkeit sich niemals verliert, vielmehr an Dichte und Intensität gewinnt, je mehr sie sich öffnet. Es entwickelt sich ein Sog, dem man sich nicht entziehen kann, und der doch Raum lässt für eine Vielzahl kleiner Gesten und Begegnungen. Da ein Ton der Klarinette, hier eine Berührung, ein Blick, scheinbar beiläufig, fast nebensächlich und trotzdem bedeutsam und präzise. Auf diese Weise entstehen – trotz und mit Beckett – leichte und versöhnliche Momente und auch der komödiantische Aspekt ist nicht mehr Ablenkungsmanöver sondern im Gegenteil Hinschauen und Annehmen, lachen ohne sich lustig zu machen.

Durch den gleichförmigen Tagesablauf, bei dem dieselben sich teils noch in Entwicklung befindlichen Beiträge nur in der Reihenfolge variierten, erhielt die Woche einen rituellen Charakter. Dahinein fügten sich als wiederkehrende Exerzitien besonders gut die Psalmvertonungen von Toby Roundell, die von der Sopranistin Irene Kurka eindringlich interpretiert wurden. Irgendwo im Raum, vom Publikum leicht abgewandt oder Teil von ihm, sitzt oder steht Kurka mit einem Ringbuch in der Hand wie in Lektüre versunken. Ihre klaren unprätentiösen Gesangslinien – mehr rezitierend als singend – scheinen sich an niemanden zu richten und erreichen gerade durch diese Unaufdringlichkeit eine hohe Intensität. Der Dialog mit Gott erhält eine unaufgeregte Selbstverständlichkeit, der jede aufgesetzte Demut oder Hybris fremd ist, und vielleicht ist es gerade dieses 'nimm dich ernst, aber nicht wichtig' – die genaue Umkehr dessen, was um uns herum tagtäglich inszeniert wird – das die so unterschiedlichen Beiträge des diesjährigen Klangraumsommers verbindet.

Der Wandelweiser-Klangraumsommer wird vom 21. bis 26.8. fortgesetzt. Zudem findet an den drei vorausgehenden Wochenenden unter dem Stichwort minimal? ein von André O. Möller kuratiertes Programm statt.

 

[UA von Bojan Vuletic beim Asphalt-Festival in Düsseldorf]

 

Auch wenn Düsseldorf – von Baustellen zerfräst – architektonisch aufrüstet und noch schicker zu werden droht, gibt es Orte, die diesem Trend standhaft trotzen und eine kreative Dynamik entfalten, die ihren eigenen Regeln folgt. Ein weiteres dieser Biotope ist das Weltkunstzimmer, das unter der Ägide der Hans-Peter-Zimmer-Stiftung in einer alten weitläufigen Backfabrik residiert und dort regelmäßig durch Ausstellungen, Förderprojekte und vielfältige Veranstaltungen auf sich aufmerksam macht. Vom 12. bis 22.7., rechtzeitig zum Beginn des gefürchteten Sommerlochs, lockte nun bereits zum 6. Mal das Asphalt-Festival auf das Gelände und präsentierte elf Tage ein vielfältiges Programm mit Tanz, Theater und Performance. Dass dabei auch die Musik eine wichtige Rolle spielt, dafür sorgt vor allem Bojan Vuletic, der gemeinsam mit dem Regisseur und Schauspieler Christof Seeger-Zurmühlen für das Geschehen verantwortlich zeichnet. Vuletic hat nach einem Studium der Physik Jazz-Gitarre und Komposition in den Niederlanden studiert und dabei ein sehr offenes Musikverständnis entwickelt, das von Genregrenzen wenig hält und den interdisziplinären Dialog sucht. Seine Kooperationspartner sind bildende Künstler, Choreographen und Theaterleute und selbst wenn er sich ganz auf den Klang konzentriert, findet er seine Inspiration oftmals in Außermusikalischem. Auf diese Weise ist mit dem Zyklus Recomposing Art eine Serie von Kompositionen entstanden, die sich auf konkrete Werke ausgewählter Künstler beziehen. Nach Paul Celan (Atemwende), Gerhard Richter (Unschärfe), Boris Vian (L'écume des jours / Schaum der Tage), Michael Haneke (Code Inconnu / Code: unbekannt), Franz Kafka (Die Verwandlung / Bericht für eine Akademie), Pablo Picasso (Guernica) sowie Haruki Murakami und Jorge Luis Borges (The Strange Library of Babel) standen diesmal Gemälde des US-amerikanischen Malers Cy Twombly Pate. Doch Recomposing Art VIII, das unter dem Tite beautiful in the subversion of beauty zur Uraufführung kam, will weder dessen filigran-expressive Bildwelten noch deren inhaltliche, teils politische Bezugnahmen unmittelbar reflektieren; die Musik will nicht illustrieren sondern für sich selbst sprechen.  Als Musiker konnte Vuletic mit dem Mivos Quartet, dem Trompeter Nate Wooley, dem Saxophonisten Jon Irabagon und dem Vibraphonisten Matt Moran Gäste aus New York gewinnen, die sich des ca. einstündigen Werkes kompetent annahmen. Das Streichquartett bewegt sich zunächst in sehr vertrauten Bahnen, schichtet melodische Linien, die vom Vibraphon mit schwebenden, sphärenhaften Klängen unterlegt werden. Experimentierfreudiger zeigen sich die Bläser, die sich gemeinsam zu geradezu free-jazzartigen Eskapaden aufschwingen, aber auch solistisch das Klang- und Geräuschpotential ihrer Instrumente weit ausschöpfen. Der Trompeter moduliert die Töne mit Lauten, Pfiffen, verhaltenen Rufen, bewegt sich zwischen filigranem Säuseln und überbordenden Kapriolen. Schließlich wagt sich auch die erste Violine aus der Deckung und tastet sich durch knarzig-raue Pfade, doch derartige Extravaganzen bleiben Episode, werden stets wieder zurückgebunden und münden in harmonische Gefilde. Auf diese Weise entsteht eine abwechslungsreiche Klanglandschaft, der ich mich gut überlassen konnte, auch wenn sie für meine Neue Musik-erprobten Ohren kaum Überraschungen bereit hielt.

 

[Termine im August]

 

Köln

 

Unter dem Motto Fuck it, let's go to the show! präsentiert ON – Neue Musik Köln am 5.8. im Kulturbunker Mülheim das Duo leise dröhnung mit neuen Werken für E-Bass/E-Gitarre. Im Loft stehen am 29.8. das Trio Nhy! und am 30.8. das Tango Jazz Quartet auf der Bühne. Am 25.8. findet im Alabasterwerk ein Filmmusikfest statt und vom 22. bis 25.8. befasst sich Soundtrack Cologne mit Musik und Ton in Film, Games und Medien. Weitere Termine wie üblich bei kgnm.

 

Ruhrgebiet

 

Am 9.8. startet die Ruhrtriennale unter der neuen Intendantin Stefanie Carp. Mit im Boot ist ihr langjähriger Mitstreiter Christoph Marthaler, der mit der Inszenierung Universe, Incomplete nach Charles Ives' Universe Symphony sowie dem Stück Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter vertreten ist. Außerdem stehen Henzes Floß der Medusa, ein Portrait der Komponistin Rebecca Saunders mit dem Ensemble Modern am 25.8., The Head and The Load von William Kentridge, Nordstadt Phantasien, die musiktheatrale Simulation einer urbanen Goldgräberstimmung von Schorsch Kamerun, sowie ein Konzert mit dem Ensemble Garage am 29.8. auf dem Programm.

 

Der Duisburger Earport veranstaltet am 11. und 12.8. einen Workshop für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen mit Gerhard Stäbler und Kunsu Shim.

 

Der 40. Soundtrip NRW startet am 31.8. mit Ingrid Laubrock und Tom Rainey unter Mitwirkung von Matthias Muche und Philippe Micol im Duisburger Lokal Harmonie und wird im September mit wechselnden Gästen an wechselnden Orten fortgesetzt.

 

Das E-Mex-Ensemble wirkt am 31.8. in der Essener Kreuzkirche an der Tanzperformance Blackbird unter der Regie von Joachim Schloemer mit.

 

Düsseldorf

 

Der Wandelweiser-Klangraumsommer wird vom 21. bis 26.8. fortgesetzt. Zudem findet an den drei vorausgehenden Wochenenden unter dem Motto minimal? ein von André O. Möller kuratiertes Programm statt.

 

Sonstwo

 

Die Aachener Klangbrücke arrangiert am 27.8. eine Begegnung zwischen Myanmar und Europa: Das klassisch burmesische Instrument Pat Waing mit seinen 21 gestimmten Trommeln trifft mit dem virtuosen Instrumentalisten Hein Tint auf die deutsch-turkische Pianistin, Komponistin und Sängerin Laia Genç.

 

Zum Auftakt des Bonner Beethovenfestes am 31.8. ist neben dem Eröffnungskonzert auch eine Installation von Georg Nussbaumer zu erleben. Im World Conference Center inszeniert er einen stürzenden Flügel als Zukunftsschrei(b)maschine. Bonnhoeren lädt am 25.8. zur Musik im Park mit einer Tanzperformance der japanischen Choreografin Hiromi Miyakita aus Kyoto.

 

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW

 

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