Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe März 2018
Gewesen: Nyman-Oper in Mönchengladbach – Reich-Oper in Wuppertal
Angekündigt: 100 Jahre Bernd Alois Zimmermann: Geburtstagsfeier in Erftstadt, Buchvorstellung in Düsseldorf, Konzerte in Pulheim und Köln
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[Nymans Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte in Mönchengladbach]
Bereits in der Februar-Gazette, anlässlich der Besprechung des Tonhallenfestivals Masters of Minimal, habe ich eingeräumt, dass ich nicht zu den eingefleischten Fans der Minimal Music gehöre. Aber so schnell lasse ich nicht locker, in bestimmten Zusammenhängen 'funktioniert' sie einfach und im Februar hatte ich gleich zweimal die Gelegenheit, dies zu überprüfen. Im Theater Mönchengladbach ist aktuell (als Wiederaufnahme aus 2017) Michael Nymans Kammeroper Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte nach einem Libretto von Oliver Sacks zu erleben. Sacks hat sich in seinen Büchern auf allgemeinverständliche Weise mit komplexen neurologischen Erkrankungen befasst, wobei es ihm nicht nur um die Darstellung der teils skurril anmutenden Störungsbilder ging, sondern um den Blick auf den individuellen Menschen, der stets auch über individuelle Ressourcen und Bewältigungsmechanismen verfügt. Im vorliegenden Fall handelte es sich um den Musiker Dr. P., der infolge eines degenerativen Prozesses zunehmend die Fähigkeit verlor, visuelle Eindrücke adäquat zuzuordnen, der sich jedoch mit Hilfe der Musik ein neues Orientierungssystem erschuf. Das Libretto verdichtet das Geschehen auf den Prozess der Diagnose, bei der sich dem Arzt Dr. S. und der Ehefrau Mrs. P. Art und Ausmaß der Störung schrittweise erschließen, und aus der Ambivalenz der Figuren – schwankend zwischen wissenschaftlicher Neugier und menschlicher Anteilnahme der Arzt, zwischen dem Wunsch nach Klarheit und dem Impuls zur Verdrängung die Frau, zwischen zunehmendem Verfall und erstaunlichen Fähigkeiten der Patient – entwickelt sich ein intensives Kammerspiel. Genau diese Doppelbödigkeit spiegelt sich in der Partitur: Den lyrischen Gesangspartien setzt das aus zwei Violinen, einer Viola, zwei Cellos, Harfe und Klavier bestehende Kammerorchester (Mitglieder der Niederrheinischen Sinfoniker unter Leitung von Michael Preiser) eben jene typisch Nymansche Minimal Music entgegen, die mit ihrem mechanistischen Drive einen starken Sog entfacht, aber auch nivellierend und aggressiv zerstörerisch wirkt. Sie macht die Unausweichlichkeit des Krankheitsprozesses und die mit ihm einhergehende Reduktion und Verengung unmittelbar erlebbar. Die Mönchengladbacher Inszenierung (Robert Nemack, Bühnenbild und Kostüme Clement & Sanôu) verstärkt diesen Effekt, indem sie Publikum und Musiker kurzerhand auf die Bühne verfrachtet und dadurch auch räumlich eine enorme Dichte erzeugt, der sich niemand entziehen kann. Die Darsteller agieren im wahrsten Sinne des Wortes in Reichweite, jede Geste, jedes Zögern, jedes Zu- und Abwenden wird sicht- und spürbar. Auf der langsam rotierenden Drehbühne im Zentrum des Geschehens deuten wenige Requisiten das bürgerliche Umfeld der Eheleute an; ihre gemeinsame Welt dreht sich nur noch um sich selbst, doch sie ist brüchig, die auf dem Klavier platzierten Bilderrahmen sind leer und dieses selbst in zwei Teil zerbrochen. So wie für den Patienten Dr. P. die Musik die letzte Brücke zur Welt bildet, rekurriert Nyman auf Schumann, um die musikalischen Welten in Kontakt zu bringen. Schumannanklänge blitzen auf und werden sogleich im minimalistischen Mahlstrom zerrieben. Nur einmal scheint die Zeit still zu stehen, die Drehbühne hält inne, das Klavier fügt sich zusammen und Dr. P. singt Schumanns Ich grolle nicht aus der Dichterliebe – ein ergreifender Moment, in dem das unwiederbringlich Verlorene noch einmal aufscheint. Durch die Nähe zum Publikum und die Konzentration auf nur drei Darsteller haben diese eine besondere Herausforderung zu bewältigen, der sich Markus Heinrich als Dr. S., Andrew Nolen als Dr. P. und Debra Hays als Mrs. P. ohne Einschränkung gewachsen zeigen. Am 3.3. und letztmalig am 2.5. kann man sich davon noch einmal überzeugen.
[Reichs Three Tales in Wuppertal]
Unausweichlichkeit ist auch Thema der Videooper Three Tales, die Steve Reich gemeinsam mit der Künstlerin Beryl Korot entwickelt hat und die bereits in der vergangenen Spielzeit in Wuppertal Premiere hatte – doch diesmal steht nicht die individuelle sondern die allgemein-menschliche Ebene im Fokus. In drei Kapiteln befassen sich Reich und Korot mit technischen Errungenschaften und ihren teils verheerenden Folgen für die Menschheit. Am Anfang steht der Absturz des Luftschiffs Hindenburg 1937 in Lakehurst, ein eindrückliches Ereignis (zumal es als erste größere Katastrophe auf Film gebannt wurde), jedoch noch mit begrenzter Reichweite. Gravierender für Mensch und Natur waren bereits die zwischen 1946 und 1952 auf dem Bikiniatoll durchgeführten Atomversuche, gänzlich unabsehbar aber sind die Konsequenzen gentechnischer Manipulationen, die im Klonschaf Dolly ihr Symbol gefunden haben und die nicht nur unsere Umwelt sondern uns selbst und unsere Körper betreffen. Korot greift für ihre Videoarbeit auf Archivmaterial zurück, das sie verfremdet, collagiert und rhythmisiert. So stellt sie den explodierenden Atompilzen Bilder der Einwohner gegenüber, die durch eine spezielle Bearbeitung wie gemalt wirken und an Gemälde Gauguins erinnern. Eingebunden ist zudem Textmaterial, zum Beispiel Zitate aus der Genesis, in denen Gott dem Menschen in einer ambivalenten Botschaft die Erde sowohl zum Schutz („bebaue und erhalte“) als auch zur Unterwerfung („füllet die Erde und machet sie untertan“) anheim gibt. Im letzten Teil kommen Wissenschaftler zu Wort, die sich schlaglichtartig mit den Auswirkungen ihres Tuns und den ethischen Implikationen befassen. Ist der Mensch nichts anderes als eine ausgeklügelte Maschine? Sind technologische Entwicklungen revidierbar, ja haben wir überhaupt noch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen? Es sind Fragen, die heute noch genauso dringlich und unbeantwortbar sind, wie zur Zeit der Uraufführung 2002.
Bei einer Videooper, bei der die visuelle Ebene eindeutig festgelegt ist, erübrigt sich eine Inszenierung eigentlich. Aber wie in Mönchengladbach greifen die Wuppertaler zu dem Kunstgriff, Publikum und Musiker in unmittelbarer Nachbarschaft direkt auf der Bühne zu platzieren, wodurch eine große Nähe und Unmittelbarkeit entsteht. Die Videos werden auf verschiedene Leinwände projiziert, denen die Zuschauer sich auf Drehstühlen zuwenden können, sodass sie geradezu von der Bilderflut umzingelt werden. Diese verbindet sich mit der Musik zu einem mitreißenden Sog und wieder ist es der besondere Charakter der Minimal Music, der die Unausweichlichkeit des Geschehens unmittelbar erlebbar macht. Nur selten hält die Musik kurz inne, so zum Beispiel wenn die Geschichte des Propheten Jeremiah erzählt wird, der einen künstlichen Menschen erschafft, der selbst um seine Liquidierung bittet („Undo – me“). Doch indem der musikalische Faden rasch wieder aufgegriffen wird, kommt deutlich zum Ausdruck, dass eine Revision oder gar Umkehr letztlich unmöglich ist, die einmal angestoßene Entwicklung ist unerbittlich und alternativlos.
In beiden Werken verweist die Minimal Music in ihrer Rigorosität und Unaufhaltsamkeit auf einen nicht-musikalischen Prozess, der sich als bedrohlich und in letzter Konsequenz tödlich erweist. Vielleicht ist es gerade dieser auch ihr inhärente Aspekt des Ausgeliefertseins, der sie mir immer suspekt gemacht hat. Immerhin kann man Musik anhalten bzw. ausschalten – im Gegensatz zum Weltgeschehen.
[Konzerte im März]
Köln
In der Philharmonie steht Musik von Einojuhani Rautavaara am 11., 12. und 13.3., von Kaija Saariaho und Katarina Leyman am 11.3., von Jörg Widmann am 14.3., von Detlev Glanert am 16.3. und 17.3., von Carsten Braun (UA) am 18.3., von Philip Glass am 22.3. und von James MacMillan (mit dem ChorwerkRuhr) am 30.3. auf dem Programm. Außerdem spielt MAM.manufaktur für aktuelle musik am 18.3. Mee(h)rklänge für Kinder. In der Kunststation Sankt Peter erwarten uns außer den monatlichen Orgelimprovisationen am 4.3. und den Lunchkonzerten am 3., 10. (mit Irene Kurka) und 24.3. Sammelsurien mit Frauke Aulbert und Eva Zöllner am 10.3. sowie eine Klanginstallation von Tobias Hagedorn am 31.3. Am 24.3. und 25.3. lädt der WDR ins Funkhaus zu zwei Musik-der-Zeit-Konzerten, die sich Bernd Alois Zimmermann und Alberto Posadas widmen. Auf das Zimmermannkonzert stimmt die Karl-Rahner-Akademie mit einem mehrtägigen Workshop ein. Beim Chamber Remix am 4.3. begegnen sich das Fabiana Striffler Trio und Echo Ho und die reiheM präsentiert am 26.3. Rafael Toral und Sue Tompkins im Stadtgarten. Bereits am 1. und 2.3. geben dort anlässlich des ersten Spitzentreffens europäischer Konzert-Kuratoren Musiker der heimischen Szene einen Einblick in den aktuellen Stand der zeitgenössischen Musik „made in NRW“ (teils bei freiem Eintritt) und am 10.3. sind in der Reihe 'Broken Sound' audio-visuelle Experimente mit der Gruppe Winkhorst zu erleben. Neben vielem anderen findet im Loft am 3.3. ein Tag der offenen Tür bei freiem Eintritt statt, am 13.3. trifft mit Unterstützung von ON – Neue Musik Köln der Kontrabassist Pascal Niggenkemper auf den Trompeter Nate Wooley und am 15.3. widmen sich Carl Ludwig Hübsch, Matthias Schubert und Wolter Wierbos der langfristigen Entwicklung des Universums. Der ON-Kalender hat außerdem am 16.3. eine Performance der Sopranistin Maribeth Diggle und des Gitarristen Ezequiel Menalled zu bieten und im Orangerie-Theater im Volksgarten ist vom 1. bis 4.3. blur, eine theatrale Musik-Skulptur von Sergej Maingardt, Jens Standke und Rosi Ulrich zu erleben. In der Alten Feuerwache stellt sich am 15.3. der Experimentalchor Alte Stimmen vor und am 18.3. präsentiert das E-Mex Ensemble als Start seiner USA-Tournee Auszüge seines Programms.
Weitere Termine wie üblich bei kgnm – z.B. die Plattform nicht dokumentierbarer Ereignisse am 14.3. und am 26.3.
Ruhrgebiet
Martin Blume ist am 17.3. im Duo mit Conny Bauer im Kunstmuseum Bochum zu Gast und die Bochumer Symphoniker spielen am 4.3. in einer Matinee Werke von Heino Eller, Willem Jeths und Sibelius.
Im Dortmunder Konzerthaus erklingt am 11.3. Jörg Widmanns Viola Concerto und im Mex treffen am 23.3. der Litauer Arma Agharta, der Portugiese Rafael Toral und die Italienerin Marta Zapparoli aufeinander.
Das Ensemble Neue Horizonte Bern feiert 2018 seinen 50sten Geburtstag und kommt aus diesem Anlass auch in unsere Region. Am 25.3. ist es im Duisburger Ableger der Folkwang Hochschule zu Gast und bereits am 24.3. im Krefelder TAM (s.u.).
In der Essener Philharmonie kommt am 25.3. im Rahmen des Künstlerporträts Jörg Widmann seine Fieberfantasie für Klavier, Streichquartett und Klarinette zu Gehör und JOE, die Jazz Offensive Essen, kündigt für den 8. und 15.3. Jazzsessions in der Lichtburg an.
Düsseldorf
Im Heine-Haus stellt am 22.3. Bettina Zimmermann, die Tochter des Komponisten, ihr Buch Con tutta forza Bernd Alois Zimmermann vor. Für die musikalische Untermalung sorgen Paul Rosner und Friedrich Gauwerky. Die Düsseldorfer Symphoniker interpretieren am 16., 18. und 19.3. in der Tonhalle Fredrik Högbergs Absent Illusions. A Hunt for the Eluded Muses für Violine und Orchester mit Isabelle van Keulen als Solistin und das Notabu-Ensemble spielt am 21.3. in der Reihe 'Na hör'n Sie mal' u.a. Boulez.
Sonstwo
Die Soundtrips NRW mit dieb13 werden vom 1. bis 4.3. noch in Köln, Duisburg, Bonn und Münster fortgesetzt.
Die Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen befasst sich in der Reihe 'Hören und Sprechen über Neue Musik' am 2.3. mit der Rezeption von Heavy Metal Musik und am 9.3. ist das Savoha-Trio zu Gast.
Beim Jour fixe der Bielefelder cooperativa neue musik kann man sich am 5.3. in 'Eine Lange Nacht Musik' einstimmen lassen, die am 7.4.in der Rudolf-Oetker-Halle über die Bühne geht.
Im Theater Bonn hat am 11.3. Philip Glass' Oper Echnaton Premiere und am 14.3. wird im Kunstmuseum der neue Preisträger von sonotopia, dem europäischen Studentenwettbewerb für installative Klangkunst, vorgestellt. Beim Wortklangraum ist am 7.3. das Duo Milonga zu Gast und im Klavierhaus Klavins erforschen Martin Blume, Simon Nabatov, Matthias Schubert und Eckard Vossas am 22.3. Interferenzen zwischen Naturklang und elektronischem Material.
Im Rahmen der Detmolder Klangwerkstatt erklingen am 10.3. in der Martin-Luther-Kirche Werke von Wettstein, Baur und Mittmann.
Am 20.3.2018 wurde Bernd Alois Zimmermann in Erftstadt-Bliesheim geboren, die Bernd-Alois-Zimmermann-Gesellschaft informiert ausführlich über die vielfältigen Veranstaltungen anlässlich seines 100sten Geburtstags. Vom 17.3. bis 22.3. wird in seiner Geburtsstadt seiner gedacht inklusive eines musikalischen Rundgangs in seinem Geburtshaus und einer Ausstellung mit künstlerischen Arbeiten zu seiner Komposition Alagoana Caprichos Brasileiros. Der Eintritt zu den meisten Veranstaltungen ist frei. Bereits am 11.3. findet ein Konzert in der Abtei Brauweiler in Pulheim statt.
Das Krefelder TAM zeigt im März im Rahmen seines Kagelprogramms Repertoire, ein szenisches Konzertstück aus Staatstheater. Außerdem ist das Ensemble Neue Horizonte Bern am 24.3. anlässlich seiner Geburtstagstournee zu Gast.
Im Schlosstheater Moers geht The Suitcase, das aktuelle Projekt des Fonds Experimentelles Musiktheater, in die dritte Runde. Nach einer Matinee am 11.3. findet am 17.3. die Premiere statt.
In der Black Box in Münster gastieren am 4.3. die Soundtrips NRW mit dieb13 und am 11.3. präsentieren Christina Fuchs und Florian Stadler Flux music.
Die Musikfabrik spielt am 10.3. im Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna unter anderem ein neues Werk der Stadtkomponistin Yiran Zhao.
Der Wuppertaler ort kündigt einen Kinoabend am 1.3. und ein Konzert mit dem Florian Herzog Trio am 21.3. an. Weitere Jazztermine bei jazzage.de.